piwik no script img

„Welch ein Hohn — mit Roland Kohn“

Beim Dreikönigstreffen versucht die Südwest-FDP, über Führungsquerelen und inhaltlichen Leerlauf vor der Landtagswahl hinwegzutäuschen/ Alle Hoffnungen ruhen auf Justizminister Kinkel/ Der kündigt Anklage gegen Honecker wegen Totschlags an  ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier

Der Reporter ist enttäuscht, und grantig dazu. Es ist doch jedes Jahr dasselbe, brummt er, man hockt zwei Stunden in Stuttgarts Musentempel, der Neuen Oper, hört die alljährlichen Reden der FDP-Oberen von Genscher über Kinkel, den Grafen Lambsdorf bis hin zum baden-württembergischen Landesvorsitzenden Kohn und den entmachteten Fraktionsvorsitzenden Walter Döring. Und dann — „weigert sich deine Redaktion, auch nur einen Satz aus der Lambsdorff-Rede zu drucken“. Auf dem diesjährigen Drei-Königs-Treffen der Südwestliberalen hat sich der Kollege, wie viele andere, das Anhören Lambsdorffs erspart. Draußen auf der Freitreppe ergoß derweil der gealterte Remstalrebell Helmut Palmer seinen Spott über Liberale und ihre Anhänger. „Jetzt treten sie an“, meint der, „und welch ein Hohn, mit Roland Kohn.“ Da wo ihr vier Prozent kriegt, feixt Palmer, hol ich allemal 20 Prozent und mehr.

Recht hat er, sagen die Leute, und nicht nur im Remstal. Bei den vergangenen baden-württembergischen Landtagswahlen hatte die hiesige FDP mit 5,9 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis erzielt. Das soll in genau drei Monaten, zur nächsten Wahl anders werden — aber wie. 1988 hatte sich der damalige Spitzenkandidat der Südwestliberalen, Walter Döring, dem CDU-Ministerpräsidenten Späth derart heftig ins Koalitionsbett geworfen, daß der, angewidert, lieber ein letztes Mal die absolute Mehrheit der Mandate erstritt.

Diesmal verzichtet die FDP gleich auf einen Spitzenkandidaten. Roland Kohn, seit einem jahr Landesvorsitzender, der vierte in sechs Jahren, ist beim baden-württembergischen Wahlvolk weithin unbekannt. Döring ist zwar kein Unbekannter, doch hat der sich mit abweichenden Positionen in der Asyldebatte beim Präsidium und den Niederungen seiner Partei unbeliebt gemacht. Fazit: Die FDP-Ortsverbände dürfen selbst entscheiden, mit welchen Köpfen sie um Wählergunst buhlen wollen.

Nicht weniger verwirrend ist der liberale Wahlslogan ausgefallen: „Die Politik so liberal wie das Land, das sie gestaltet“ — so stand es in großen Lettern auch gestern in der Stuttgarter Oper, „ein Fall“, so der 'Spiegel‘, „für Linguistenseminare“.

Noch aufregender aber hört sich heuer das Orakel der Südwest-FDP zur Koalitionsfrage an. Kaum jemand zweifelt, daß die CDU nach rund zwei Jahrzehnten Alleinherrschaft, und nicht nur wegen der Späth-Affäre, die absolute Mehrheit im Landtag verlieren wird. Bei SPD und Grünen wird laut über eine rot- grün-gelbe Ampelkoalition nachgedacht. Mitgedacht hatte auch schon Walter Döring. Roland Kohn, der Bonner Hinterbänkler, aber sieht das anders. Man habe zwar persönlich nichts gegen die Grünen, aber politikfähig seien sie eben nicht, und die SPD würde eben nicht stärkste Partei im Land. Also mit der CDU? Jein! Die habe schwerwiegende Fehler bei Wirtschafts- und Verkehrspolitik gemacht, der Industriestandort Baden- Württemberg habe an Attraktivität verloren, aber Koalition? Die FDP, so Roland Kohn, trete an, um die BürgerInnen von der erstarrten Alleinherrschaft dieser Partei zu befreien, und, das klingt fast gönnerhaft, wenn es denn sein muß, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Mit einer flinken Rechnung demonstrierte Walter Döring den erstaunten Drei-Königs-BesucherInnen dann auch, wie man die Fünf- Prozent-Hürde zu bewältigen gedenke. Vor vier Jahren, so Döring, sei die Stuttgarter Oper zum traditionellen Treffen nur halb gefüllt gewesen, man habe 5,9 Prozent Stimmen erhalten, heuer sei das Opernhaus bis auf den letzten Platz gefülllt. Bonner Prominenz hat sich denn auch schon tatkräftig angekündigt. Wie ein Stern unter den Schnuppen war gestern auch Bundesjustizminister Klaus Kinkel angereist. Und er will zum Wahlkamf noch öfter kommen. Dann, glaubt Außenminister Hans- Dietrich Genscher, „müßte es ja mit dem Teufel zugehen, wenn das nichts wird“. Die Ohren des amtierenden baden-württembergischen Ministerpräsidenten (CDU), Erwin Teufel, müssen geklingelt haben.

Doch dann kommen Genscher und Kinkel auf ihre eigentlichen Themen. Hatte sich Justizminister Klaus Kinkel am Vortag noch geziert, sich genauer zur Frage der vorzeitigen Haftentlassung gefangener RAF- Häftlinge zu äußern, so gelang es ihm heute unter Applaus, die Täter der ehemaligen DDR zu geißeln. Am schlimmsten, findet Kinkel, „diese Täter sind noch nicht einmal bestraft. Die sitzen in Moskau wie Herr Honecker, wandern sich spreizend durch die Talkshows, wie die Herren Schalk und Wolf, machen sich in Verwaltung und Unternehmen wieder breit und tyrannisieren zum Teil wie früher die Menschen — und in Berlin stehen junge Leute vor Gericht. Fast Kinder noch, als sie damals an der Mauer schossen. Nein, so hatten sich die Menschen das nicht vorgestellt.“ Honecker, so Kinkel, sei ein Hauptverantwortlicher, gegen den in Kürze ein Haftbefehl wegen Anstiftung zum vierfachen Totschlag ergehen werde. Und gegen die „Kinderpornographie-Branche“ werde man mit allen nur denkbaren Mitteln vorgehen. Aber das erzählt der Justizminister ja auch schon seit geraumer Zeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen