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Der Grundstücksspekulation den Boden entziehen

■ Ein Diskussionsbeitrag: Weil Boden nicht vermehrbar ist, treibt der Verkauf die Bodenspekulation an und macht die Unternehmer reich/ Die Profitspirale könnte gestoppt werden, wenn die Stadt ihre Grundstücke in Erbbaurecht vergäbe

Berlin. »Wohnungen nur noch zu Phantasiepreisen«, meldete die 'Berliner Zeitung‘ zum Jahresende. Wohnungen für 3.800 DM pro Quadratmeter im Corbusier-Haus, ehemals sozialer Wohnungsbau. »Die Büromieten explodieren«, klagt auch der 'Tagesspiegel‘: »Bis zu 100 DM pro Quadratmeter in Ost-Berlin mit weiterhin steigender Tendenz«. Und am 15.12. berichtete er, in Berlin lägen die Ladenmieten weltweit bereits an vierter Stelle. In Tokios bester Lage würden gegenwärtig 930 Mark pro Quadratmeter gezahlt, in New York 615, in München 410 und an der Berliner Tauentzienstraße 400 Mark. Klar: Das kann kein Durchschnittsmieter, kein Emma- und kein Kinderladen, kein Handwerksmeister und kein selbstverwalteter Betrieb bezahlen. Die Folge: Vertreibung der Menschen aus ihrem Kiez sowie Ausbeutung der besserverdienenden Mieter und der Konsumenten durch die Grundrentner.

Von den Politikern wird diese Entwicklung weitgehend hingenommen. Schließlich wollen wir doch alle die Marktwirtschaft. Doch auf dem Mietenmarkt funktioniert das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht so, wie wir es gerne hätten: steigende Preise und Gewinne bewirken zusätzliche Produktion, zusätzliche Produktangebote wiederum fallende Preise und Gewinne. Denn hier geht es nicht nur um produzierbare Häuser, also Kapital. Hier geht es auch um ein nicht produzierbares Gut: um den Boden, auf dem sie stehen.

Zwar können auf gegebenen Bodenflächen Wolkenkratzer gebaut und dadurch der Preisentwicklung auf dem gesamten regionalen Grundstücksmarkt ein wenig entgegengewirkt werden. Wir können und wollen jedoch nicht in den Himmel bauen. Die Grundeigentümer, die das Privileg besitzen, daß auf ihrem Boden Hochhäuser gebaut werden dürfen, profitieren ganz erheblich von dieser Berechtigung — ein Profit, der nicht in eigener Arbeitsleistung gründet. Denn dieses Privileg ist ebensowenig eine Leistung, wie die günstige Lage eines Grundstücks. Daher kostet im Zentrum Tokios Boden, auf dem Wolkenkratzer gebaut werden dürfen, bereits eine halbe Million Mark pro Quadratmeter. Auch in Berlin wird es bald Tokioer Verhältnisse geben. Was das bedeutet, macht eine Rechnung am Beispiel Daimlers deutlich. Der Daimler-Konzern will auf seinem 62.000 Qudratmeter-Grundstück am Potsdamer Platz 160.000 Quadratmeter Nutzflächen errichten. Sind sie erstellt, dann verursachen die 160.000 Quadratmeter Nutzfläche pro Quadratmeter etwa 15 Mark Betriebs- und Abschreibungskosten und 30 Mark Zinskosten für das investierte Geld. Alles, was über diesen Mietanteil von 45 Mark hinausgeht, ist Grundrente. Wenn Daimler an dieser Stelle der Stadt 100 Mark Miete pro Quadratmeter für Büroflächen und 400 Mark Miete pro Quadratmeter für Ladenflächen erzielen kann, dann sind davon 55 beziehungsweise 355 Mark Grundrente.

Nun soll Daimler auch Wohnungen bereitstellen. Dafür sind 20 Prozent der Geschoßflächen vorgesehen. Wohnungen, auch Appartements, können jedoch nicht für 100 bis 400 Mark pro Quadratmeter vermietet werden. Wenn (mit Zuschüssen des Staates) »nur« 45 Mark gezahlt werden, dann erhält Daimler von den Wohnungsmietern keine Grundrente. Es bleiben also an Grundrente 55 Mark pro Quadratmeter aus den Büro- und 355 Mark pro Quadratmeter aus den Ladenflächen. Wenn wir einmal annehmen, daß zehn Prozent, also 16.000 Quadratmeter als Ladenflächen vermietet werden, dann werden hier 5,68 Millionen Mark Grundrente im Monat beziehungsweise 68 Millionen im Jahr erzielt. Es bleiben 70 Prozent beziehungsweise 112.000 Quadratmeter für Büros und so weiter, macht eine Grundrente von 6,16 Millionen Mark im Monat oder rund 74 Millionen im Jahr, alles zusammen 142 Millionen im Jahr. Daimler bekäme also den ganzen Kaufpreis für das Grundstück bereits in acht Monaten aus der Grundrente zurückerstattet.

Aber was ist mit den von Daimler selbst genutzten Flächen? Sie ersparen dem Konzern Zins- und Rentenlasten. Da er diese Ersparnis nicht an seine Kunden durch Preisnachlässe oder an seine Arbeiter als Lohnerhöhungen weitergeben würde, erschiene sie ebenso als Zins- und Rentengewinn in der Rentabilitätsrechnung, wie die Zinsen und Renten aus den Mieteinnahmen. Sie flössen also ebenfalls den Aktionären zu.

Wie groß ist nun die Rendite in Prozenten, die der Daimler-Konzern für das in das Gemeindeland angelegte Geld erhält? Bei einem Bodenzins von 142 Millionen im Jahr und dem gezahlten Bodenpreis von 93 Millionen Mark ist das ein Zinssatz von 153 Prozent.

Der Senat hat mit knapp 93 Millionen beziehungsweise 1.505 Mark pro Quadratmeter offensichtlich zu wenig für die knapp 6,2 Hektar gefordert. Die EG-Kommission, die die Rechtmäßigkeit des geringen Grundstückspreises überprüfen sollte, hat den Gesamtwert des Daimler-Grundstücks fast doppelt so hoch, mit 179,7 Millionen, veranschlagt. Sony hat für ein anderes Grundstück am Potsdamer Platz 13.620 Mark für den Quadratmeter geboten. Auf unsere 6,2 Hektar bezogen, wäre das ein Preis von 844 Millionen Mark, neunmal soviel, wie der Senat gefordert hat. In der Friedrichstraße wurden im Juli 91 bereits 20.000 Mark pro Quadratmeter bezahlt. Bei 6,2 Hektar sind das 1,24 Milliarden.

Wie hoch ist nun der wirkliche Wert des Grundstücks? Das ist vor allem eine Frage der »Rendite«. Wenn wir davon ausgehen, daß ein Geldbesitzer sein Geld für acht Prozent Zinsen anlegen kann, dann erwartet er, daß er diesen Zinssatz auch dann für sein Geld erhält, wenn er dafür Boden kauft. Bei einem Bodenzins von 142 Millionen im Jahr hätte dieses Grundstück dann einen Geldwert von rund 1,8 Milliarden. Der Quadratmeterpreis beträgt dann 28.600 Mark. Das dürfte den gegenwärtigen Grundstückspreisen an der Friedrichstraße entsprechen.

1,8 Milliarden sind fast zwanzigmal soviel, als der Senat erhalten hat, und das entspricht etwa einem Zehntel des Quadratmeterpreises in der Züricher City. Für Grundstücke an der dortigen Bahnhofstraße werden zwischen 250.000 und 300.000 Franken geboten, schrieb die Schweizer Wirtschaftszeitschrift 'Forbes‘ 1990. Den gesamten Wert der ebenfalls sechs Hektar großen Fläche an der Bahnhofstraße schätzt 'Forbes‘ auf »mindestens 10 Milliarden Franken«, also auf mindestens 11 Milliarden Mark. Wenn wir die Quadratmeterpreise in Zürichs City veranschlagen, dann wären die 6,2 Hektar am Potsdamer Platz 17 bis 20 Milliarden wert. Wir haben also mit 1,8 bis 2,4 Milliarden nicht zu hoch gerechnet, und das, was wir hier ausgerechnet haben, ist nur der gegenwärtige Wert. In wenigen Jahren wird er sich verdoppelt und vervielfacht haben.

In der alten Bundesrepublik haben sich die Grundstückspreise von 1965 bis 1989, also in 24 Jahren, versechsfacht. In Zürich haben sie sich bereits in einem Drittel der Zeit, in acht Jahren, versechsfacht. In Berlin, das zehnmal größer ist als Zürich und wo nach dem Anschluß des DDR-Umlandes an die BRD und der Hauptstadtentscheidung für Berlin ein großer Bevölkerungszuwachs zu erwarten ist, werden die Bodenpreise noch weitaus schneller steigen und das Züricher und vielleicht auch das Tokioer Niveau bald ein- und überholt haben. Dann würde das Daimler- Grundstück zwischen 17 und 31 Milliarden und bald noch mehr wert sein und eine Grundrente von mehr als eine Milliarde Mark im Jahr einbringen.

Der Senat einer hoch verschuldeten Gemeinde bezahlt einen hohen Preis, um Arbeitsplätze an Land zu ziehen. Die Stadt verschenkt dabei ihren wertvollen Boden und damit eine sichere, ergiebige und wachsende Einnahmequelle. Würde Berlin seinen Boden in Erbpacht vergeben, dann könnte die Stadt neben der Gewerbesteuer auch noch die Grundrente kassieren.

In Berlin haben das Bündnis 90 und die Grünen/Alternative Liste einen vorbildlichen Antrag zum Erbbaurecht ins Abgeordnetenhaus eingebracht. Er wurde zwar von allen Fraktionen unterstützt, jedoch verwässert und mit vielen Schlupflöchern für die Interessen der Kapitalgesellschaften versehen: nur der Wohnungsmarkt soll auf alle Fälle dem Erbbaurecht unterliegen; an Unternehmen, die das große Pachtgeld bringen könnten, soll weiterhin verkauft werden können. Und so wird's dann auch sein...

Außerdem kommt dieses Vorhaben zu spät, die Politiker — auch die »Linken« und »Alternativen« (sie waren mehr mit der Traufhöhe und der Veilchenbepflanzung am Potsdamer Platz beschäftigt) — haben geschlafen: Die Goldgruben sind bereits verramscht. Die Einführung des Erbbaurechts und einer Bodenwertsteuer würde der Bodenspekulation entgegenwirken. Die Spekulanten spekulieren auf den Bodenwertzuwachs. Der Wertzuwachs des gesamten privaten Bodens der alten BRD betrug bereits 1986 — in diesem einen Jahr — 120 Milliarden Mark. Dieser unverdiente Gewinn wird nicht bei Verkauf des Bodens durch eine Bodenwertzuwachssteuer abgeschöpft, wie es in dänischen Gemeinden geschieht.

Bei voller Abschöpfung der Grundrente würde erst gar kein Wertzuwachs entstehen, denn dann würde der Preis des Bodens, weil ein nicht von Menschenhand geschaffenes Gut, auf null fallen. Er hätte keinen »Tauschwert« mehr, nur noch »Gebrauchswert«.

Mit einem derartigen Ansatz könnten die Pachtzinsen und Bodenwertsteuern niedrig gehalten und dafür den Pächtern und Grundeigentümern Mieten begrenzende Auflagen erteilt werden. Die schreiende Ungerechtigkeit des privaten Eigentums an einem Naturprodukt, das allen Menschen zu gleichen Teilen zusteht, könnte also weitgehend überwunden werden. Die Menschen könnten vor der Zerstörung ihrer Lebensräume durch Grundrentner, Spekulanten und Kapitalgesellschaften geschützt werden, und es würde außerdem eine größere Leistungsgerechtigkeit in der Marktwirtschaft hergestellt werden — wenn die Politiker wollten. W. Schmidt

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