: Alle Notaggregate an einem Kabel
■ Litauisches AKW bedroht Schwedens Küste/ ExpertInnengruppe stellte Konstruktionsfehler fest: Alle Türen des Kontrollraumes aus Holz und Reaktorkuppe fehlt/ Für Verbesserung hat Litauen kein Geld
Stockholm (taz) — „Ein Brand würde unabsehbare Folgen haben.“ So das Fazit einer schwedischen ExpertInnengruppe, die vor kurzem das litauische Atomkraftwerk bei Ignalina inspizierte. Aber nicht nur ein Brand: Über die bekannten Risiken von AKWs sowjetischer Bauart hinaus gibt es hier noch gefährliche Konstruktionsfehler. Keine geringe Bedrohung für ihr Land, fanden die WissenschaftlerInnen. Denn die beiden weltweit größten AKW-Aggregate des Tschernobyl-Typs liegen nur 400 Kilometer von der schwedischen Küste entfernt.
Aus dem Bericht, der im Auftrag der schwedischen Kernkraftinspektion angefertigt wurde, sind folgende Einzelheiten bekannt: Der Kontrollraum liegt ohne ausreichende Abschirmung mit im Turbinenraum. Ein Brand oder eine Wasserstoffgasexplosion würde den Kontrollraum lahmlegen, und das AKW wäre nicht mehr zu steuern, da ein Reservekontrollraum fehlt. Das Feuer könnte sich dabei nahezu ungehindert ausbreiten und schnell zum Austritt von Radioaktivität führen, weil alle Türen aus Holz sind und eine Reaktorkuppe fehlt.
Weiterer Risikofaktor: Die Notaggregate sind völlig unzureichend von den Hauptaggregaten getrennt. Sechs Dieselaggregate für den Fall der Fälle stehen in ein und demselben Raum und werden über ein und dasselbe Kabel gesteuert. Würde bei einem Brand das Bedienungskabel zerstört, wären sie nicht mehr funktionsfähig. Ähnliches gilt für die sechs Pumpen, die für die Notkühlung sorgen sollen. Auch sie stehen zusammen in einem Raum. Falls die Hauptwasserleitung platzt, fallen die völlig unzureichend abgeschirmten Notkühlpumpen alle gleichzeitig aus.
Zwar ist das AKW Ignalina für die Stromversorgung in Litauen von untergeordneter Bedeutung: Nur 20 Prozent des erzeugten Stroms werden im Lande selbst benötigt, der große Rest geht nach Weißrußland. Trotzdem redet in den litauischen Behörden keiner mehr davon, daß Ignalina in absehbarer Zeit stillgelegt werden müsse. Die litauische Regierung habe offenbar vor, das AKW noch einige Jahre zu betreiben, meint Erik Söderman, Leiter der schwedischen Expertengruppe: „Ob das technisch möglich, vor allem aber zu verantworten ist, erscheint mir äußerst zweifelhaft.“ Im Rahmen eines schwedisch-litauischen Projektes will Södermans ExpertInnengruppe nun Vorschläge für die dringendsten Nachrüstungsarbeiten unterbreiten. Söderman: „Wir sind mit unseren litauischen Kollegen über die Sicherheitsdefizite völlig einig. Aber die bekommen von ihrer Regierung kein Geld.“ Reinhard Wolff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen