Draußen vor der Kiez-Tür

■ »Hinter verschlossenen Türen« — ein Debüt-Film von Anka Schmid

Von Senats wegen sollte man mustergültige Exemplare der Kreuzberger Spezies glatt unter soziale Fittiche nehmen und fest besolden, einzig mit der Auflage, ein für allemal ihren gewohnten Aktivitäten nachzugehen. Je nach hauptstädtischen Sachzwängen ließe sich so mal multikulturelles Händchenhalten, ein anderes Mal autonomes Zähnefletschen demonstrieren. Was die politische Wirklichkeit vernachlässigt, verdichten immerhin etliche Ethno-Filmer zu dokumentarischen Leinwandepen, in denen die bedrohten Pflänzchen aus dem Kiez-Biotop so richtig exotisch in den urbanen Himmel sprießen können.

Eine durch mehrjährige Berlin- Praxis (Studium an der DFFB) ausgewiesene Sympathisantin der Kreuzberger Mischung wie die Züricherin Anka Schmid indes läßt unsere Kreuzberger Lieblinge sicherheitshalber professionell doubeln. In ihrem Abschlußfilm zieht es die Dreißigjährige gleichsam hinter all jene Türen, die dem Volkszählungsboykott seinerzeit verschlossen blieben. Alles in allem siebzehn mehr oder minder schrullig-schrille »Typen« listet der Besetzungskatalog ihres erschöpfend gutgemeinten demoskopischen Debüts auf. Basisdemokratisch darf sich niemand in den Vordergrund spielen. Wie uns die humanistische Kinderstube lehrt, wird jedem dieselbe Aufmerksamkeit zuteil, schließlich habe »jeder Mensch eine beachtenswerte Geschichte«. Allesamt wohnen unter einem Dach, gewissermaßen Tür an Tür verschlossen, eben »Menschen wie du und ich«.

Für den Dreh — selbstverständlich an Originalschauplätzen — machte die Recherche eine jener fotogenen Mietskasernen ausfindig — gelegen an Kreuzbergs einzigem städtebaulichem Objekt mit nennenswertem Wiedererkennungseffekt für Berlin-Touristen: der sagenhaften Hochbahn-»Linie 1«. Diese rattert denn auch in beinahe jeder Einstellung magisch durchs Bild, in einem Zeittakt, mit dem die BVG (leider) nicht Schritt hält. Von hier aus streift der Blick durch die Fassade des Typenhauses wie einen aussichtsreichen Adventskalender, dessen geheimnisvolle Fensterlein nun eines um das andere gelüftet werden. Wir erblicken: ein altkluges Biest, das von einem miesen Hauswart getriezt wird. Eine Frau im Rollstuhl, die sich nach einem Fahrstuhl sehnt. Ein Mädel, das auf der Fidel kratzt. Ein Schwarzer und ein Schwuler in einer WG. Ein Arbeitsloser, der sich zur feierabendlichen Halbliter- Molle Brutalo-Videos reinzieht... und derlei mehr aus »dieser beschissenen Welt«.

Weiter gepuzzelt wird mit Kastagnetten, perlendem Piano und Pornoheftchen, während die pubertierende Jugend an ekligen Zungenküssen verzagt. »Aber vielleicht ist das das Leben«, räsoniert ein Alter, eine Seele von Mensch, der getrost als so etwas wie das Alter ego seiner Autorin gelten kann. Rechtzeitig zu dessen achtzigstem Ehrentage erscheint ein voluminöser Bildband mit seinen Photographien aus dem alten Berlin.

Doch was für eine Bescherung zum Schluß; ausgerechnet auf der von ihm anberaumten Hausparty scheidet der Jubilar dahin. Die Gäste geraten darauf nachbarschaftlich aus dem Häuschen und die Türen fallen wieder ins Schloß. Anka Schmid müht sich sichtlich, den Blick durch die Butzenscheiben im Rampenlicht der Rührung lakonisch zu tönen. So was heißt freilich Eulen nach Spree- Athen tragen, »weil hier (sowieso) zu sehen ist, was los ist«, wie Uwe Johnson im »Gespräch mit einem Hamburger« bemerkte: Draußen vor der Kiez-Tür an der Linie 1. R.R.

Hinter verschlossenen Türen Drehbuch und Regie: Anka Schmid. Kamera: Ciro Cappellari. Mit Hans Madin (gest.) und sechzehn weiteren Darstellern. Schwarzweiß, 75 Minuten, DFFB/Mano- Film (CH), 1991. Ab 16. Januar im Kino Eiszeit und in der Brotfabrik. Das Babylon (Mitte) zeigt zusätzlich auch Kurzfilme von Anka Schmid.