: Nadelstreifenrassismus
■ Anheizung der "Asyldebatte" unter dem Schein ihrer Vermeidung
Nadelstreifenrassismus Anheizung der „Asyldebatte“ unter dem Schein ihrer Vermeidung
Wie hält man das Reizwort „Asyl“ für den nächsten Wahlkampf am Kochen? Indem man wie CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble treuherzig und PR-wirksam beteuert, daß man das „Problem“ nun wirklich nicht zum Thema der nächsten Landtagswahlkämpfe machen will. Volker Rühe hat sein Strategiepapier für künftige CDU-Wahlkämpfe im letzten Jahr nicht umsonst geschrieben. Dort wird das Parteivolk angewiesen, die SPD durch Anheizen der Asyldebatte in den Schwitzkasten zu nehmen. Worauf letzterer auch prompt der Schweiß ausbrach — und ihr einige humanitäre Prinzipien in Sachen Flüchtlingspolitik aus den nassen Händen glitten. Erinnert sei nur an den sozialdemokratischen Kopf-Nick-Reflex, als man sich im Oktober mit CDU/CSU und FDP unter anderem darauf einigte, Asylsuchende in Sammellager zu stecken.
Wie verlängert man das Asylverfahren, erhöht die Aktenberge und strapaziert Nerven und Psyche der Flüchtlinge? Indem man, wie das Bundesinnenministerium, penetrant behauptet, genau das Gegenteil zu wollen, und daraufhin einen Entwurf zur Neuregelung des Asylverfahrens vorlegt, dessen Lektüre allein schon zum Verlust jeden Zeitgefühls führt.
Anstatt da anzusetzen, wo es wirklich klemmt: Im Bundesamt zur Anerkennung politischer Flüchtlinge, wo ein Berg von über 200.000 Aylanträgen ruht, hinter dem 200.000 Menschen stehen, die warten, warten und noch mal warten. Wenn nötig, müssen statt der avisierten 120 neuen Entscheider eben 300 eingestellt werden — hoch qualifiziert, anständig bezahlt und vom Stigma eines Fließbandarbeiters befreit. Je besser und fundierter die Entscheidungen des Bundesamtes, desto schneller das Verfahren. Das predigen Asylexperten seit Jahren. Die Bearbeitung der Anträge ist also ein verwaltungstechnisches Problem, die Entscheidung, es nicht anzugehen, ein politisches. Bundesinnenminister Seiters hat es vorgezogen, einen Entwurf zu präsentieren, der aus Asylsuchenden endgültig eine Art außerirdische Bedrohung macht: Schafft ein Flüchtling überhaupt noch die Einreise nach Deutschland, hat er laut Entwurf nach der erkennungsdienstlichen Behandlung faktisch zwei Optionen: ins Sammellager oder in Abschiebehaft.
So hält man das Thema „Asyl“ am Kochen und kann sich dabei umstandslos über die nächsten Brandanschläge auf Flüchtlingsheime entrüsten. Das kann man als geschickte Wahlkampfstrategie bezeichnen — oder auch anders benennen: Nadelstreifenrassismus. Andrea Böhm
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