: Tod im Plattenbau spaltet die Nachbarschaft
Stiefvater nennt die tödliche Schußwunde der 16jährigen Diana H. ein „Unglück“/ Nachbarn kümmerten sich nicht um die dauernden Familienkräche/ Schuldzuweisungen treffen Vater und Mutter gleichermaßen/ Herkunft der Waffe unklar ■ Aus Spremberg Heide Platen
Spremberg, südlich von Cottbus in der Lausitz am Rande des Spreewaldes — der alte Stadtkern liegt fest im Klammergriff der sieben Neubaugebiete. Der Kollerberg, linksab von der Ausfallstraße, die nach Hoyerswerda führt, ist das größte davon. Ganz am Ende der Ringstraße, in einem fünfstöckigen grauen Plattenbau, in der obersten Etage, ist am Wochenende die 16jährige Diana H. umgebracht worden. Das Mädchen verblutete auf dem Fußboden der Küche an einer Schußwunde am Hals. Einen Tag später wurde der Stiefvater unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Für die Mutter Marion H. waren dem quälende Stunden vorausgegangen. Sie hatte die Leiche ihrer Tochter gefunden, als sie von der Arbeit kam. Ihr Mann und der gemeinsame vierjährige Sohn waren verschwunden. Peter H. war zuerst zu seinem Bruder, dann zu seiner Schwester geflüchtet. Dort hatte er das Kind und einen Abschiedsbrief zurückgelassen, in dem er den Tod seiner Stieftochter als „Unglück“ bezeichnete. In den folgenden Tagen schlugen die Wellen hoch auf dem Kollerberg. Boulevardzeitungen wußten es ganz genau: „Vom Vater mißbraucht, erschossen“. Die Spitzengardinen vor dem „Tatort Küche“ sind zugezogen, das Drama geht weiter. Die Nachbarschaft spielt mit, fast jeder in einem anderen Stück. Zwei Häuser weiter hebt eine alte Frau den Arm zum Himmel, deutet auf die Wolkenformation vor der untergehenden Sonne, die sie als dräuende Hand Gottes interpretiert. Unheil und westliche Unmoral seien jetzt auch nach Spremberg gekommen: „Man weiß, was man weiß!“
Viele der NachbarInnen reagieren weniger emotional, eher abweisend und unterkühlt. Der Vorwurf, daß niemand etwas von der sich anbahnenden Familientragödie bemerkt hat, scheint sie tief zu treffen. In der Familie habe es, sagten einige der Polizei, immer schon lautstarke Auseinandersetzungen gegeben. Man habe sich da nicht einmischen wollen, ja auch nicht geahnt, wie das endet. Am Samstag vormittag, der vermuteten Tatzeit, habe es wieder eine Schreierei und dann ein Poltern gegeben. Der Streit in der Familie sei meist zwischen Diana H. und ihrem Stiefvater ausgetragen worden. Der sei ein strenger Mann, manchmal etwas „plautzig“, also barsch und unfreundlich gewesen. Aber er ist, sagen die Leute immer wieder, „korrekt, sehr korrekt“, alles in allem eine „ordentliche Familie“.
Die Freundin der Toten, Mandy B., kommt am Nachmittag, um nach der Mutter zu sehen. Sie war in der Boulevardpresse als Zeugin nicht nur für die Mißhandlung, sondern auch für den sexuellen Mißbrauch des Peter H. an der Stieftochter zitiert worden. Im großen und ganzen, sagt sie, stimme das schon. Der Vater habe Diana geschlagen, ihr verboten, in die Disko zu gehen. Und wenn er es erlaubte, „was alle zwei bis drei Monate einmal vorkam, hat er sie meist selbst wieder abgeholt“. Aber so richtig „mißhandelt“, nein, davon habe sie nichts entdecken können. Meist sei ihr „nichts anzumerken gewesen“, sie war immer freundlich und guter Dinge. Zu möglichen Vergewaltigungen, zu den in der Boulevardpresse berichteten Selbstmordversuchen und einer Abtreibung im Sommer möchte sie nichts sagen.
Die beiden Sanitärarbeiter vor dem Haus wissen, was zu tun ist, nämlich den Peter H. „vierteilen“. Andere fordern die Todesstrafe „für so einen“. In der Metzgerei um die Ecke, in der die ganze Nachbarschaft einkauft, haben die Verkäuferinnen durch die Schaufensterscheibe den direkten Blick auf den Balkon der H.'s. Eine von ihnen hat das Mädchen „noch kurz vorher“ bedient. Mutter und Tochter haben in ihrer Erinnerung „immer verhärmt“ ausgesehen. Meist sei „das Mädel“ gekommen: „Die mußte viel im Haushalt machen.“ Eine Nachbarin ist sichtlich stolz, „zwei Stunden mit der Mutter geredet“ zu haben. Auch ihre Tochter sei schließlich, reklamiert sie trotzig, „mit der Diana“ befreundet gewesen. Was immer Marion H. gesagt haben mag — wo Schuldgefühle sind, da sind auch Schuldzuweisungen. Die Wohlinformierte mit dem verkniffenen Mund richtet auf ihre Weise: „Man soll über den Mann nicht den Stab brechen. Die Mutter ist schuld!“
Die Cottbusser Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen wegen Mordverdachts einleitete, wird viel zu klären haben. Zum Beispiel, woher die Tatwaffe, eine Pistole Kaliber 9, stammte. Peter H., als gelernter Schlosser arbeitslos geworden, arbeitete seit Jahresbeginn als Kraftfahrer für einen Spremberger Wachdienst. Der dementierte, daß der Mann eine Dienstwaffe gehabt habe. Gerüchte sagen, er habe sich die Pistole kurz nach der Wende in West- Berlin gekauft. Sie werden auch klären müssen, warum der in der ganzen Siedlung öffentliche Verdacht, der Stiefvater mißbrauche Diana H., keine Konsequenzen hatte. Erste Ermittlungsergebnisse der Polizei decken sich jedenfalls nicht mit den Schilderungen von Peter H. Er behauptete, das Mädchen habe in der Küche abgewaschen und dabei in seinem Auftrag auch die Pistole „abwischen“ sollen. Er sei im Wohnzimmer gewesen und habe es nur „knallen“ gehört.
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