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»Mir schlug unerträgliche Arroganz entgegen«

■ Der Stasi-Überprüfer Werner Fischer über den Umgang mit Stasi-Mitarbeitern in der Verwaltung/ Die Gauck-Akten seien nicht anzuzweifeln/ Gleiche Behandlung für alle ehemaligen Stasi-Mitarbeiter, egal ob Vernehmer oder Kindergärtnerin

Berlin. Bereits unter dem letzten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, war Werner Fischer als Regierungsbeauftragter mit der Auflösung der Staatssicherheit befaßt. Danach konzentrierte sich sein Augenmerk auf Stasi-Strukturen in Berlin. Nach monatelangen Auseinandersetzungen mit der Spitze der Innenverwaltung schmeißt Werner Fischer nun das Handtuch. Er wird bis zum April seine Tätigkeit in den diversen Personalkommissionen beenden. Über die Erfahrungen, die er im Laufe seiner Tätigkeit machte, sprach er mit Dieter Rulff.

taz: Wie viele Stasi-Mitarbeiter sind in den Maschen Ihrer Überprüfungen hängen geblieben?

Werner Fischer: Über den Daumen gepeilt waren es 2.000 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Dann gibt es noch mal die gleiche Zahl an Funktionären, an Mitgliedern der Nomenklaturkader, Kaderleiter und solche Leute.

Wenn Sie in vier Monaten aufhören zu arbeiten, können Sie dann vermelden, daß die Berliner Verwaltung frei von Stasi-Mitarbeitern ist?

Nein, daß kann ich deshalb nicht, weil das Verfahren der Überprüfung sehr uneinheitlich gehandhabt wurde. In den Bezirksämtern, wo wir beteiligt waren, da ist es einheitlich verlaufen. Dort hat man sich nach den erarbeiteten Kriterien gerichtet, wobei man sagen muß, daß der subjektive Entscheidungsspielraum der Überprüfer trotzdem noch recht groß war.

Aber in den Senatsverwaltungen war das offensichtlich kein Thema. So hat ein ehemaliger MfS-Mitarbeiter, dem im Bezirksamt Prenzlauer Berg gekündigt wurde, anschließend in der Senatsbauverwaltung eine Anstellung erhalten...

... in den Senatsverwaltungen wurde also das Problem lascher gehandhabt als in den Bezirksverwaltungen.

Die Sensibilität für dieses Thema und für den Umgang mit diesen Leuten ist in den Ostbezirken wesentlich ausgeprägter gewesen. Das liegt natürlich daran, daß es alles Bürgermeister sind, die aus dem Osten kommen...

... während die Westler eher ein Auge zugedrückt haben?

Ja, sie neigen zur Verharmlosung und haben eine mächtige Distanz zu diesem Thema, weil sie einfach diesen Erfahrungshorizont nicht haben.

Resultiert diese Distanz aus Desinteresse oder aus Verdrängung?

Beides. Es ist die Haltung: Jetzt müssen wir mal einen Schlußstrich ziehen. Wir müssen jetzt nach vorne gucken. Den meisten wird das ganze Verfahren zunehmend lästig. Man insistiert im Westen auch zunehmend auf die Tätigkeit im MfS, sagt: »Der war ja nur Kraftfahrer.« Das zeigt deutlich die Unkenntnis dessen, was das MfS ausgemacht hat.

Nach welchen Kriterien haben Sie denn die Bewerber begutachtet?

Nach der Dauer der Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit. Wenn jemand bis zum Herbst 1989 dabei war, gleichgültig in welcher Funktion, gleichgültig auch, welche Tätigkeit er im öffentlichen Dienst übernehmen sollte, wurde ihm in der Regel gekündigt. Ausnahmen haben wir nur gemacht bei denjenigen, die ihren Wehrdienst beim Wachregiment Feliks Dzierzynski abgeleistet haben und danach keine Informellen Mitarbeiter wurden. Eine Weiterbeschäftigung haben wir auch bei denen empfohlen, die ihre Tätigkeit für das MfS deutlich vor dem Herbst 1989 beendeten.

Welche Erkenntnisse lagen Ihren Beurteilungen zugrunde?

Die Überprüfungen der Gauck- Behörde und das persönliche Verhalten des Betreffenden. Wir haben das »tätige Reue« genannt, wenn sich jemand im nachhinein aktiv an der Aufdeckung der Strukturen beteiligt hat und damit einen deutlichen Bruch mit der Vergangenheit signalisierte.

Hat für Ihre Beurteilung eine Rolle gespielt, welche Tätigkeit der Betreffende in der Verwaltung anstrebt? Wurde ein angehender Polizist kritischer beäugt als ein angehender Pförtner?

Wir wurden bei der Beurteilung der Bewerber für den Polizeidienst überhaupt nicht einbezogen. Im übrigen erfolgte auch keine Überprüfung bei der Feuerwehr oder beim Rettungsamt. Auch bei den Meldeämtern wird jetzt immer mal wieder jemand enttarnt. Hier wurden die Überprüfungen offensichtlich nicht richtig durchgeführt.

Große Probleme machen generell die Inoffiziellen Mitarbeiter. Hier rechne ich mit einer Dunkelziffer von 80 bis 90 Prozent. Wir haben in den Bewerbungsgesprächen deutlich gemacht, daß mit zunehmender Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, auch eine inoffizielle Tätigkeit rauskommt und daß das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben wird. Damit konnten wir hin und wieder erreichen, daß sich jemand offenbarte. Aber in ganz wenigen Fällen geben es die Leute zu.

Hier muß man sich in der Verwaltung ein Verfahren überlegen, wie man hinter die Leute kommt. Es wäre gefährlich, wenn sie in der Verwaltung verblieben, weil ehemalige MfS-Leute, die sich in der Wirtschaft niedergelassen haben, diese Kontakte erpresserisch nutzen könnten. Hier müßte es eine Zusammenarbeit zwischen allen Senatsverwaltungen geben.

Ist die Elle, an der Sie die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter messen, nicht ziemlich hoch angelegt?

Ja. Aber jeder, ob Kinderschwester beim MfS oder Vernehmer, wußte, welchem Amt er sich andient, und er wußte auch um den Stellenwert dieses Amtes in der Gesellschaft. Jeder wußte um die angstmachende Funktion des MfS und die Angst war eine der wesentlichen Stützpfeiler der Macht. Ich kann auch keine Milde walten lassen, wenn sich eine Kindergärtnerin auf die besseren Verdienstmöglichkeiten beim MfS beruft. Es machte im Grunde keinen Unterschied, ob ich einen Vernehmer vor mir hatte oder die Kindergärtnerin. Sie waren Teil dieses Ganzen, und sie wußten das.

Diese rigide Haltung dürfte bei den Betreffenden nicht unbedingt auf Wohlwollen gestoßen sein.

Es ist für mich erschreckend gewesen, daß diese Leute auch nach zwei Jahren häufig kaum Unrechtsbewußtsein zeigten und keinen Anflug von Scham...

Wie war die vorherrschende Reaktion?

Eher Kühle und viel Arroganz. Zudem haben wir festgestellt, daß sich alle sehr schnell mit der neuen Rechtsordnung vertraut gemacht haben. Sie hatten durch die Bank eine Ahnung, daß ihnen in diesem Rechtsstaat nicht mehr allzuviel passieren wird.

Wurden Sie persönlich angegriffen?

Ja, unsere Arbeit war auch ein täglicher Umgang mit unserer eigenen Vergangenheit. Mir saß zum Beispiel bei einer Bewerbung im Bezirksamt Weißensee der Chef unserer Vernehmer...

... zu Oppositionszeiten Mitte der 80er...

... ja, es war der Leiter der Hauptabteilung IX, der saß mir gegenüber. Von ihm schlug mir eine unerträgliche Arroganz entgegen.

Sind Sie auch direkt bedroht worden?

Ja, es gibt in regelmäßigen Abständen anonyme Anrufe.

Der spektakulärste Stasi-Fall im öffentlichen Dienst war der des Rektors der Humboldt-Universität, Heinrich Fink. Ist diese Personalie korrekt gehandhabt worden?

Nein. Nach meinen Informationen fand im Fall Fink nur ein Vier- Augen-Gespräch statt. Hier hätte die Kommission gemeinsam mit Herrn Fink beraten müssen. Nach allen Erfahrungen, die ich habe, gibt es kaum Zweifel daran, daß Fink Inoffizieller Mitarbeiter war. Wir machen immer häufiger die Erfahrung, daß es bei Top-IMs kaum Berichte gibt, wohl aber Aktendeckel, Die ließen sich schwer vernichten. Hinzu kommt die Erfahrung, daß jeder ertappte IM bis zum Schluß leugnet.

Beim Fall Fink wurde die Glaubwürdigkeit der Gauck-Akten stark in Zweifel gezogen. Hat das auch Rückwirkungen auf Ihre Arbeit?

Ja. Es wird, und dahinter scheint Methode zu stecken, langsam versucht, den Wahrheitsgehalt der Akten in Zweifel zu ziehen. Im Falle Fink wurde gar ein Stasi-Offizier als Kronzeuge genommen, obwohl man früher sagte, das Wort eines Stasi- Mannes gilt nichts. Doch plötzlich wird's geglaubt. Das heißt, es besteht die Möglichkeit, daß die Stasi es schafft, all das, was an Akten gesammelt ist, als unglaubwürdig darzustellen. Dadurch wird eine Irritation geschaffen, mit der der Normalbürger nicht mehr richtig umgehen kann. Das halte ich für verhängnisvoll. Nach meinen Erfahrungen sind die Akten exakt angelegt worden, denn hätte er seine eigenen Berichte manipuliert, hätte sich der gesamte Apparat ad absurdum geführt.

Schließen Sie aus, daß Unterlagen verfälscht wurden?

Ja, es gibt keine Unterlagen über Personen, die in irgendeiner Weise getürkt sind.

Welche Erfahrung haben Sie im Laufe ihrer Tätigkeit mit der Berliner Verwaltung gemacht.

Ich glaube, daß man unsere Tätigkeit als sehr wichtig erachtet hat, allerdings entsprach man damit den vermeintlichen Erwartungen in der Bevölkerung. Eine besondere Zuneigung des Senats ist mir jedoch nie erkennbar gewesen.

Hat die Innenverwaltung das Stasi-Problem zu lax gehandhabt?

Ja, wir haben uns ein Jahr lang vergeblich bemüht, mit dem Innensenator zu reden. Unsere Arbeitsbedingungen waren, gemessen an der Schwierigkeit der Aufgabe, miserabel.

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