Was andere Dichter dichten (1)

■ Im Schweinsgalopp durch das Donnerstags-Feuilleton der 'Berliner Zeitung‘

Wer die Kritik eines konkurrierenden Kulturteils schreibt, sollte sich Hochnäsigkeit und Besserwisserei nach Kräften vermeiden. Ich werde mich also hüten, kurz in den Sportteil der 'Berliner Zeitung‘ abschweifen, um die dortige Unterzeile »Dopingverdächtigung gegen die zweifache Sprintweltmeisterin sind haltlos« dem verdienten Gelächter preiszugeben.

Das Feuilleton der 'Berliner Zeitung‘, das lustigerweise von der ehemaligen taz-Sitz-Redaktionschefin, Wirtschaftsexpertin und Kulturnovizin Georgia Tornow geleitet wird, kommt uns auf Seite 17 oben links gleich mit einem Negativbeispiel: Zu einer neu bewilligten Förderung des immerhin sehr renommierten Leipziger Dokumentarfilm-Festivals ist den Redakteuren nichts anderes eingefallen als der Abdruck einer Agenturmeldung — dazu noch ausgerechnet von den 'adn‘-Transusen. Die große Schauspielerin Hilde Krahl wird zum 75. Geburtstag ebenfalls mit einer 'adn‘-Meldung »geehrt«. Lumpige 24 Zeilen und ein einspaltiges Foto: eher eine Art Beleidigung als die hochverdiente Hommage. Der Aufmacher der Kulturseiten trägt die schaurig unbeholfene Überschrift Unkraut als Züchtungsobjekt im Gewächshaus. Im ersten Satz nach dem informativen und knappen Vorspann gibt sich der Autor bedauerlicherweise als Akademiker zu erkennen: »Die Geburtsstunde des Mythos Prenzlauer Berg schlug in Dresden. Hier — im Umfeld der Kunsthochschule — formierte sich Ende der siebziger Jahre ein Kreis von Künstlern und Kunstinteressierten, deren erklärtes Ziel ein autonomes Wirken war, welches sich den staatlichen Existenzbedingungen entzog.« Der Satz sagt alles, was er sagen will. Was ihm fehlt, ist ein Schuß Formalismus, eine redigierende Hand. »Sich den Existenzbedingungen entzog« ist nicht nur teil eines stark arhythmischen Nebensatz-Nachhinkers, es klingt auch ein bißchen nach Unsinn. »Die staatlichen Existenzvorgaben unterlief« — ob ungefähr das gesagt werden sollte? Der Text vom FU-Germanisten Matthias Ehlert, der fast zwei Drittel der Seite vollwuchert, ist mit sterbenslangweiligen Zwischenüberschriften garniert und bietet neben dem bereits zitierten Satz noch Juwelen wie dieses hier: »Ausgehend von dieser Subkultur-Fixierung auf einen Ort (und dessen relativ straffer Organisation) fallen noch mehr Merkwürdigkeiten ins Auge.« Beim ersten Lesen glaubt man, das Wort »straff« sei womöglich nicht ganz kasus-nüchtern. Falsch. Es ist richtig. Wir haben es nur, seufzend, mit dem Satz eines Germanisten zu tun. Und die können bekanntlich im besten Falle schreiben wie Böll. Meist noch schlechter.

Der Text scheint mir mit über 300 Zeilen um 100 Prozent zu lang für das Thema »Stasi und Literatur«, das gute Chancen hat, die Nummer 1 in der Langweilerhitparade der Jahre 91 und 92 zu werden. Ehlerts Schlußsatz ist im übrigen ein schlechter Scherz: »Der Mythos Prenzlauer Berg ist mit der Enttarnung von Sascha Anderson und Rainer Schedlinski zerstört — nun gilt es seine literarischen Trümmer zu retten.« Sehen wir davon ab, daß wir verwegenen Konservativen von der taz hinter »gilt es« ein Komma gesetzt hätten — Ehlerts Behauptung, in der Prenzlauer-Berg-Literatur sei Rettungswürdiges zu finden — und seien's nur »Trümmer« — kann nur als Alberei gemeint sein. Wer auch nur ein Gedicht von den Prenzlern gelesen hat, wird ohne jede Unbescheidenheit sagen: »So was schreibe ich noch im Vollsuff besser!« Man denke nur an Lutz Rathenow, der seinen Lebensunterhalt neuerdings mit seiner Nicht-Stasi-Kontaminiertheit zu bestreiten scheint: Wir druckten kürzlich einige Gedichte mit einem ironisch lobenden Redaktionsvorspann ab. Niemand merkte, daß wir dem Mann durch den Abdruck seiner jämmerlichen Poeme schaden wollten! Soviel zum Thema Lyrik-Rezeption.

Der 'Berliner Zeitung‘ werden derart perfide Manöver sicher widerlich sein. Hier scheint man ans Feuilleton vom Langweiligsten zu glauben: Wir berichten. Daß eine Zeitung auch ihrerseits Kultur ist, wenigstens im Kulturteil, daß es wichtig wäre, gerade bei einem alltäglich konsumierten Produkt auch sprachliche und gestalterische Maßstäbe zu setzen — das und andere tiefergehende Reflexionen scheinen in dieser Kulturredaktion nicht üblich zu sein.

Fürs Entertainment ist hier der Fortsetzungsroman allein zuständig. Ich konnte ihn nicht lesen, enthalte mich daher eines Urteils. Ich lese keinen Fortsetzungstext, der »Von deutschen Räubern« heißt und dessen Untertitel ranschmeißerisch Gar grausige Originaldokumente lautet.

Das Feuilleton der 'Berliner Zeitung‘ ist, um es mal unangemessen freundlich zu sagen, ein starkes Beruhigungsmittel. Es ist, und nicht nur an diesem Donnerstag, ideenarm, konventionell und sterbensöde. Wir freuen uns auf die Gegenkritik der Berliner-Kollegen. Klaus Nothnagel