: Ein Leben halb und halb?
■ betr.: Heinrich Fink (Humboldt-Universität Berlin)
betr.: Heinrich Fink (Humboldt- Universität Berlin)
Auch im Zusammenhang mit der Fink-Affäre hört man mitunter den Vorwurf: Seid doch nicht so auf die Stasi und deren Akten fixiert. Aber zugleich hört man: Wenn nicht nachgewiesen werden kann, daß jemand wie zum Beispiel Heinrich Fink wußte, daß er als Inoffizieller Mitarbeiter geführt wurde, dann hat sich doch das Problem für ihn erledigt. Als wenn sich das Problem der Verstrickung mit dem Unrecht dadurch erledigt hätte, daß derjenige nicht davon wußte. Ein Beispiel solcher Verstrickung: Es sei „eine vorsätzliche grobe Verfälschung der Tatsachen, wenn eine im persönlichen Scheitern eines Pfarrers begründete Kurzschlußreaktion in Rundfunk und Fernsehen der Bundesrepublik wie ein Beweis für eine Christenverfolgung in der DDR hochgespielt wird.“ (Heinrich Fink 1976 zur Selbstverbrennung des Pfarrers Brüsewitz und den Reaktionen in Ost und West)
Es ist doch vielmehr so: Wir Ostdeutschen waren alle mehr oder weniger inoffizielle Mitarbeiter der Stasi — wer von uns hat denn die Konspiration der Stasi wirklich aufgedeckt? —; nur eine ganze Menge Leute (auch in der Kirche) ist aber für würdig befunden worden, als solche in den Stasi-Akten geführt worden zu sein. Sage keiner, das kann auch einem wirklichen Opfer ohne sein Wissen passiert sein. Es war doch gerade der vermeintliche Schatz der Stasi, daß sie zwischen konstruktiven und feindlich-negativen Kräften unterscheiden „konnte“. Da hat eben Heinrich Fink nach meinem Eindruck — vielleicht auch in der Absicht, anderen Menschen zu helfen — ganz andere Kräfte gestützt, vor und nach der Wende. Das liegt freilich außerhalb dessen, was der Gauck- Behörde an Kriterien der „Bewertung“ zuzumuten ist. Die Kündigung war insofern eine unangemessene Reaktion, eine Rücktrittsforderung oder eine Beurlaubung wäre doch besser und möglich gewesen. Zumal durch die Kündigung sein Beharrungsvermögen noch bestärkt wird. Jeder, der Fink jetzt verteidigt, gerät in den Verdacht und die Konsequenz, seine Verstrickung zu verteidigen. Jeder, der seine Verstrickung aufdecken will, gerät in den Verdacht und die Konsequenz, das unsensible Vorgehen des Senators zu verteidigen. Ein Dilemma, aus dem wir nicht mehr herauskommen?
„Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; ... seufzt nicht widereinander ...“, heißt es im Jakobusbrief. Also muß sich auch Heinrich Fink fragen lassen, ob er mit seiner heutigen Überzeugung, daß Veränderungen in der DDR nur innerhalb des existierenden Systems möglich waren, sich nicht zum Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi qualifiziert hat.
Wir brauchen Geduld und Ehrlichkeit, keine berechnende, sondern eine im Reden und Handeln, die dem anderen die Wahrheit unseres Lebens zumutet und ertragen läßt. Pfarrer Joachim Goertz,
Ost-Berlin
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