: Der Kahlschlag von Albertville
Die Olympischen Winterspiele entstellen die Bergwelt der französischen Alpen/ Die Organisatoren weisen die Kritik zurück: „Startbahn West war ökologisch fragwürdiger“ ■ Von Greta Maiello
Albertville (afp) — Je näher die Olympischen Winterspiele von Albertville rücken, desto heftiger wird die Kritik an den Organisatoren. Französische Umweltschützer werfen ihnen vor, im Widerspruch zu ihrem anfänglichen Versprechen nicht der Umweltverträglichkeit Rechnung getragen zu haben. In einem offenen Brief an den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Juan Antonio Samaranch, machten auch zwanzig Europa-Abgeordnete geltend, mit den Olympiaeinrichtungen in den Savoyer Alpen sei gegen die EG-Richtlinien zur Umweltverträglichkeit verstoßen worden. Der Präsident des Naturschutzverbandes Alp Action, Prinz Sadruddin Aga Khan, beschuldigt Frankreich, seine Bergwelt schlimmer als alle anderen Alpenländer entstellt zu haben.
Nach einer Umweltstudie des regionalen Umweltschutzbunds FRAPNA (Federation Rhone-Alpes de la Protection de la Nature) führen beispielsweise die olympischen Langlaufloipen im Skiort Les Saisies durch ein ökologisch empfindliches Gebiet, in dem eine selten gewordene Tierwelt zu Hause ist. Der Bau der beiden Olympiaschanzen von Courchevel, für die 3.500 Bäume abgeholzt wurden, erhöhe Erdrutsch- und Lawinengefahr. Die zwischen Courchevel und Meribel gebaute neue Wintersportstation La Tania, wo die Eishockeyspieler logieren werden, entspreche keinesweg den ursprünglichen Plänen, die einen Ort im traditionellen Chalet-Stil vorsahen. Die jetzt hochgezogenen mehrstöckigen Apartmenthäuser bedeuteten eine kaum rentabilisierbare Überkapazität an Unterkünften. Durch hektarweise Abholzung, die Entstellung ganzer Bergrücken und die weitere Zubetonierung der Alpenwelt seien unwiderrufliche ökologische Schäden entstanden.
„Vom olympischen Geist hatten wir uns etwas anderes versprochen“, heißt es beim FRAPNA. Schuld hätten „gewissenlose Profiteure, für die nichts anderes zählt als ihr Bankkonto und ihr persönliches Ansehen“. Ganz generell befürchten die Umweltschützer, daß sich die in allen dreizehn olympischen Stätten massiv hinzugebauten Hotelkomplexe und Urlaubswohnungen nach den Spielen nur dann auszahlen können, wenn noch mehr Skipisten, Loipen und Möglichkeiten zum sommerlichen Gletscherski angelegt werden. Das gehe wiederum auf Kosten der Natur, die durch gedankenlosen und rücksichtslosen Massentourismus in dem Gebiet ohnehin schon überstrapaziert sei. Weitere Kritik gilt den mehr als vierhundert Schneekanonen. Dazu müßten Bergseen und die ortsweise knapp bemessenen Wasserreserven angezapft werden.
Beim olympischen Organisationskomitee COJO in Albertville wurde die Kritik anfänglich zurückgewiesen, doch die beiden Kopräsidenten Jean-Claude Killy und Michel Barnier geben inzwischen selbst einige Mängel zu, wenn sie auch nachdrücklich unterstreichen, daß die Olympiaanlagen unter Berücksichtigung von Umweltstudien gebaut worden seien. Als Beispiel wird immer wieder die von dem Schweizer Skiweltmeister und Olympiasieger von Sapporo, Bernhard Russi, gesteckte Piste für die Herrenabfahrt in Val d'Isere genannt, die so gelegt worden sei, daß eine seltene Bergakelei und drei hundertjährige Lärchen erhalten blieben. Ganz ohne Eingriffe in die Natur könne es eben keine olympischen Anlagen geben. Viel umweltschädlicher für die Bergwelt seien sicherlich die neuen modischen (Sommer)-Sportarten wie Mountain-Biking und Gras- oder Geröllhaldenski.
Jean-Claude Killy betonte, die Schuld für den problemreichen Schanzenbau unterhalb von Courchevel trügen nicht die Olympiaplaner, sondern die Sachverständigen, die ein unzutreffendes geophysikalisches Gutachten vorgelegt hätten. In Killys Mitarbeiterstab sitzt auch der ehemalige deutsche Olympiaschwimmer Thomas Fahrner, der einige sehr kritische Reaktionen deutscher Medien für unsachlich hält. Aus ökologischer Sicht sei der Bau der Startbahn West in Frankfurt sicher fragwürdiger gewesen als die Olympiabauten in Savoyen.
Die stark umstrittene Bob- und Rodelbahn von La Plagne wurde aber selbst beim COJO von Anfang an als Problem angesehen, wenn auch eher finanzieller als ökologischer Art. Das 1.800 Meter lange Ungetüm mit 19 Kurven verunziert einen Hang neben dem Weiler La Roche, wo bereits etliche Häuser zum Verkauf stehen. Erst nach dem Einbau zusätzlicher Sicherheitssysteme für die 45 Tonnen giftigen Ammoniaks, die zur künstlichen Beeisung nötig sind, gab das Umweltministerium in Paris mit großer Verspätung grünes Licht für die Zulassung der Bahn, die aus technischer Sicht zur Weltspitzenklasse gezählt wird. Sie kostete im Endeffekt 223 Millionen Francs (knapp 67 Millionen Mark) anstatt der vorgesehenen 129 Millionen (38,7 Millionen) und wird jährlich drei Millionen Francs (900.000 Mark) für die Wartung verschlingen. Gewaltige Summen angesichts der Tatsache, daß es in Frankreich bis heute nur 150 eingeschriebene Bobfahrer gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen