: Ein Verwirrspiel
■ „Die Akte Babylon“, So., 22.30 Uhr, W3, HR 3, Süd 3
Ein wunderliches Fernsehspiel, das da drei Dritte Programme am Sonntag abend kurzfristig ins Programm genommen haben. Ein Jahr nach Ende des Golfkrieges sind zwar Kuwaits Ölquellen gelöscht, aber viele Ungereimtheiten des Krieges warten noch immer auf eine plausible Erklärung. Warum setzte Saddam Hussein seine stärkste Waffe, die biologischen und chemischen Sprengköpfe, nicht ein? Warum verlegte er einen Großteil seiner Luftwaffe in den Iran, ohne sie — ebenso wie viele der Panzer — in das Geschehen eingreifen zu lassen? [jetzt dürfen wir endlich wieder mit Tele-Krieg spielen oder wie?, d. s-in] Oder wie soll man verstehen, daß die USA Hussein erst zum „Teufel“ aufbauten, um ihn dann plötzlich unbehelligt zu lassen? Warum marschierten die alliierten Truppen nicht in Bagdad ein?
Der amerikanische Filmemacher Neil Hollander läßt nun in seinem Fernsehspiel den Reporter eines — fiktiven — USA-Nachrichtensenders mit einem anonymen Informanten zusammentreffen, der auf all diese Fragen eine frappierend einfache Antwort liefert: Der ganze Golfkrieg war eine Farce [eine farce, die zigtausenden das leben kostete? mehr als zynisch, d. s-in], inszeniert und kontrolliert vom amerikanischen Geheimdienst. Saddam ist nur eine Marionette der CIA und steht seit 1967 in dessen Sold. Eine abenteuerlich anmutende These, die der Film natürlich nicht beweisen kann.
Seine Qualität liegt aber eigentlich auch ganz woanders. Hollander hat das Ganze als einstündiges Nachrichtenmagazin inszeniert. Ein Moderatorenpaar steht an einem Pult und befragt entweder im Studio sogenannte Experten aller Art oder läßt sich per Live-Schaltungen mit Korrespondenten in der ganzen Welt verbinden. So entsteht ganz allmählich ein Bild des Krieges, das jene kühne These zumindest nicht weniger plausibel erscheinen läßt als alle Antworten, die von offizieller Seite bisher auf jene offenen Fragen gegeben wurde. Und Hollander behauptet denn auch, keine Informationen frei „erfunden“, sondern sie lediglich dramatisiert zu haben. Sämtliche Akteure, Korrespondenten und Moderatoren sind Schauspieler. Doch sie gestalten die Illusion der „Nachrichten“ so perfekt, daß einem auf ebenso raffinierte wie perfide Art die eigene Medien-Abhängigkeit und -gläubigkeit vor Augen geführt wird, und das weit über das Zensur-Bravourstück des Golfkrieges hinaus. Daß die Moderatorin von Dagmar Berghoff synchronisiert wird, läßt die Illusion noch um einige Grade authentischer erscheinen bzw. könnte ein überaus gesundes Mißtrauen in die Tagesschau zur Folge haben.
Im Anschluß an die Ausstrahlung des Films ist eine Live-Diskussion mit dem Filmemacher geplant. Am 15. Januar wird der Film um 22.45 Uhr auch in N3 zu sehen sein. Reinhard Lüke
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