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Serielles Pop-Gesamtkunstwerk

„Nummer sechs“ ist wieder da! Pro 7, sonntags um 0.30 Uhr  ■ Von Martin Compart

Es gibt viele Kultserien, aber keine— nicht einmal die der bescheuerten Star Trek-Fans — hat eine so ausdauernde Gefolgschaft wie Gefangener Nr. 6, im Original: The Prisoner. Seit der Erstausstrahlung der 17 Folgen im Jahre 1967 hat sich ein geradezu legendärer Kult gebildet. Und das zu Recht, denn Nummer sechs hat die Fernsehserie zur eigenständigen Kunstform erhoben, auf einem Niveau, das seitdem nie mehr erreicht wurde. Als typisches Produkt der Swinging Sixties ist es so etwas wie ein Pop-Gesamtkunstwerk, die Antwort des Fernsehens auf 1984 und Brave New World. Die erzählte Handlung klingt banal, die filmische Umsetzung ist es nicht: Ein Geheimagent quittiert seinen Dienst und wird entführt. Er erwacht in einem exotischen Dorf, in dem die Menschen Nummern tragen, in kleinen, netten Häusern leben, kostenlos versorgt und ständig überwacht werden. Der Ex-Agent, der die Nummer Sechs erhält, kann sich mit dieser vollkontrollierten Idylle nicht abfinden und versucht in jeder Folge aus dieser Wohlfahrtsstaatsutopie zu fliehen oder seine Bewacher hereinzulegen. Die Serie ist eine Allegorie auf die westliche Zivilisation Ende der sechziger Jahre und zeigt das Individuum im Kampf gegen das gesellschaftliche System. Dieses setzt alle Machtmittel, Repression, Bestechung, Gehirnwäsche usw. ein, um aus dem Individuum eine funktionierende Einheit zu machen. Nur bei Nr. 6 klappt das nicht.

Nummer sechs erteilt allerdings auch der organisierten Rebellion, die sich zur Zeit der Erstausstrahlung in den Städten Europas formierte, eine Absage, indem sie die permanente Rebellion des Individuums ohne eschatologische Utopie verherrlicht. Keine andere Serie hat so konsequent philosophische, psychologische oder soziologische Theorien umgesetzt. Prisoner war die Sternstunde der Fernsehserie und natürlich vom kommerziellen Fernsehen ITC produziert. Die Serie macht einmal mehr deutlich, wie langweilig und einfallslos dagegen deutsche Produktionen der öffentlich-rechtlichen Angsthasenanstalten sind. Erfunden wurde sie vom Hauptdarsteller Patrick McGoohan, der zuvor mit der Agentenserie Geheimauftrag für John Drake zum Superstar des englischen Fernsehens geworden war. McGoohan entwickelte das Konzept, schrieb einige Drehbücher selber und führte mehrmals Regie. Es war eine der wenigen „Autoren-Serien“ der TV-Geschichte und die höchst individuelle Vision eines mittleren Genies. Dank seines Superstarstatus konnte McGoohan den bis dahin höchsten Serien-Etat loseisen: 75.000 Pfund pro Folge. Er selbst bekam eine Beteiligung (die ihm bis heute jährlich ein hübsches Sümmchen einbringt) und 2.000 Pfund pro Woche, womit er der höchstbezahlte Fernsehschauspieler der sechziger Jahre war. McGoohan war auch so klug, von Anfang an die Serie auf eine bestimmte Folgenzahl festzulegen und für ein befriedigend- irrwitziges Ende zu sorgen.

Die Außenaufnahmen wurden in Portmeirion in Nordwales gedreht. Der kleine Kunstort mit seiner mediterranen Architektur war der gewagte Wurf des Architekten Sir Clough Williams-Ellis und ein bevorzugtes Refugium für Künstler, von Bernard Shaw bis Bertrand Russell. Heute ist er ein Wallfahrtsort für Fans, die im eigenen Prisoner-Shop alles von und über die Serie kaufen können. Jährlich finden dort die Prisoner-Spiele statt. Organisiert werden sie von der „No. 6“-Gesellschaft „Six of one“, die 1977 gegründet wurde und auch vierteljährlich ein Magazin veröffentlicht („Six of one“: P.O. Box 66, Ipswich IP2 912, England).

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