GASTKOMMENTAR: Realitätsverlust
■ Auf der Hardthöhe wird hinterhergehechelt statt geplant; der verantwortliche Minister kämpft um sein politisches Überleben, während nur die Industrie weiß, was sie will
Stoltenberg hält am Jäger 90 fest“, ist der überraschende Aufmacher der 'FAZ‘ vom 10.Januar. Wie paßt dies zur Meldung der 'Süddeutschen Zeitung‘ vom 7.1., reibt sich der Zeitungsleser verwundert die Augen, wo es doch hieß: „Nach Informationen aus dem Verteidigungsministerium/Bundeswehr wird auf Jäger 90 verzichten“? Muß vielleicht doch das verbreitete Urteil über Stoltenberg revidiert werden, er ließe die politischen Zügel schleifen, er werde von seinen Generälen und deren Rüstungsbegehrlichkeiten gesteuert? Ist der Verteidigungsminister also doch ein standfester Politiker, der sich nicht vor den Karren der Streitkräfte-Egoismen spannen läßt?
Immerhin ignorierte er im vergangenen Jahr die dringende Forderung seines Beraters für Militärpolitik vom 11.Oktober, eine politische Entscheidung des Bundessicherheitsrates herbeizuführen, wie mit den — politisch hochbrisanten — unersättlichen Waffenwünschen der Israelis umgegangen werden solle. Als die „Panzerverschiebung“ aufplatzte, jammerte er allerdings, die „handelnden Personen“ hätten eine politische Entscheidung herbeiführen müssen. Jetzt scheint er sich erneut über den Rat seiner Generäle hinwegzusetzen. Nicht, daß nicht auch sie den Wundervogel sehnlichst wünschten. Aber, gemessen an den vielen parallelen Wünschen und Forderungen, ist der Jäger 90 einfach unbezahlbar.
Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs der Meldungen vom 7. und 10.Januar findet, wer auch den Wirtschaftsteil liest. Am 8.Januar wird dort in der 'SZ‘ nämlich der Sprecher des zum Daimler-Benz-Konzern gehörenden Luft-, Raumfahrt- und Wehrtechnik-Unternehmens DASA zitiert, daß er eine „positive Produktionsentscheidung“ erwarte, und die DASA „unverändert fest von einem Serienbau des Jäger 90 ausgeht“.
Anders als Politiker und Militärs weiß offenbar wenigstens die Rüstungswirtschaft, was sie will. Admiral Wellershoff sprach im vergangenen Jahr von der Notwendigkeit einer Umstrukturierung der Bundeswehr, die einem Neuanfang gleichkomme. Sein Nachfolger im Amt, Generalinspekteur Naumann fordert jetzt, die Truppenreduzierung müsse für einen „völligen Neubau der Armee“ genutzt werden. Und der Verteidigungspolitiker der CDU, Hauser, verlangt von Stoltenberg einen „radikalen Schwenk in der Militärpolitik“. In der Tat stimmt in der Verteidigungspolitik nichts mehr, weil alle früheren Prämissen für Planung und Einsatz der Bundeswehr weggefallen sind. Zwischen der einhelligen Einschätzung der Militärfachleute, daß es eine militärische Bedrohung der Bundesrepublik nicht mehr gibt, und dem derzeitigen militärischen Weiterwursteln klaffen Welten. Gegen welche Macht soll künftig eigentlich die „Panzerschlacht“ geführt oder doch wenigstens geplant werden? Gegen welche Ziele sollen deutsche Bombenangriffe geflogen werden? Innerhalb der Reichweite deutscher Bomber leben nur noch Menschen befreundeter Staaten! Aber Bonn hält unbeirrt an Panzern und Bombern fest.
Irgendwie erinnert das Chaos auf der Hardthöhe an den Zerfall der Sowjetunion. Jede Teilstreitkraft sucht für sich zu retten, was zu retten ist. Nicht der Wille zur vorausschauenden Führung prägt Verteidigungspolitik, sondern das Hinterherhecheln der Entwicklung bestimmt die Tageshektik. Kein mutiges Aufgreifen der Chancen zur Planung einer der Lage angepaßten Bundeswehr ist in Sicht. „Planung“ verkümmert zum Kassensturz, zum eifersüchtigen Aufteilen des kleiner werdenden Verteidigungskuchens. Streitkräftekonzeption ist — soweit wegen der Verfassungsrestriktionen nicht ungedeckter Scheck, wie die unverfrorenen Begründungen für neue U-Boote mit zukünftigen Out-of- area-Einsätzen der Marine — nur noch Taktieren und Finessieren gegenüber dem Parlament. Dazwischen kämpft ein hoffnungslos überforderter Minister um das eigene politische Überleben. Elmar Schmähling
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