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ALTES AUS WURZENDie seltsamen Jazzfans von der Stasi

■ Eine gescheiterte Anti-Quertreiber-Operation/ Der Schauplatz: Wurzen in Sachsen

Als wir Ende des vergangenen Jahres unseren »Kürzest- Geschichten-Wettbewerb« ausgeschrieben hatten, waren wir verblüfft und entzückt darüber, daß ein Teilnehmer aus »Wurzen/Sachsen« kam. Wir wußten bisher kaum von der Existenz dieser Ansiedlung; die Geschichte des Wurzeners Michael Scholz gefiel uns, wir gaben ihm einen der Hauptpreise und vereinbarten eine feste Kolumne mit ihm. Auf unseren Seiten wird also künftig, so oft es die Post zuläßt, in wahrscheinlich unregelmäßiger Folge aus Wurzen berichtet werden. Michael Scholz wird sich mit Wurzen, Berlin, der Spannung zwischen den beiden gleichwertigen Metropolen und anderem beschäftigen. Wir freuen uns über den neuen Kollegen aus O-7250 Wurzen! D. Red.

Wurzen im Sommer 1979. Ich stehe an meiner Arbeitsstelle. Es ist etwas nach neun Uhr morgens. Eine Dame tritt an mich heran, fragt mich, ob ich Herr Scholz sei und fordert mich auf, mitzukommen. Ich vermutete, man wolle mich für die SED werben. Die Dame meinte ich schon im Parteibüro des Betriebs gesehen zu haben.

Sie führt mich ins Sozialgebäude. Dort liefert sie mich vor einer Tür ab, die auf ihr Klopfen sogleich geöffnet wird. Man überläßt mich zwei jungen Herren. Der eine bittet mich freundlich herein und schließt eine Doppeltür hinter mir — wie beim Zahnarzt. Sodann stellen sich mir beide mit ihrem Dienstausweis als Mitarbeiter der Staatssicherheit vor.

Ich habe nicht gleich verstanden. Immerhin kann ich mir in Ruhe die Ausweise anschauen. Sie helfen mir ein wenig: Sie seien, sagen sie, von jenem Verein, welcher früher »Gestapo« hieß. Das begreife ich. Einer gehört als ständiger Mitarbeiter zu dem Betrieb, in dem ich arbeite; der andere ist bei der Kreisstelle Wurzen beschäftigt. Sie halten mir eine von mir unterschriebene Eingabe an die Abteilung Kultur unter die Nase.

In unserer Kleinstadt existierte damals ein recht aktiver Jazzclub, der mit der Abteilung Kultur öfter Streitigkeiten hatte. Mehrere Aussprachen wegen nicht parteitreuer Äußerungen bei öffentlichen Veranstaltungen waren schon geführt worden; der Jazzclub war von der Abteilung Kultur bei vielen Gelegenheiten schikaniert worden. Zu einer der Veranstaltungen hatte dann die »Kultur« jegliche finanzielle Hilfe verweigert; die Unkosten mußten gänzlich durch die Eintrittsgelder hereingeholt werden. Das war bei uns unüblich. Der Eintrittspreis war unangenehm hoch. Der Jazzclub-Leiter gab nach dem Konzert den Grund dafür kund und forderte das Publikum auf, sich nicht beim Club, sondern bei der Abteilung Kultur zu beschweren. Ich schrieb daraufhin die Eingabe, die jetzt der Grund meiner »Einladung« zur Stasi war.

Mein Selbstvertrauen ist schlagartig hinüber! Ich nehme meine vielfach bewährte einigelnde Abwehrhaltung ein und warte ab, was die beiden Herren nun wirklich von mir wollen. Äußerlich sieht man mir meine Unsicherheit an, denke ich. Meine Gedanken müssen mir auffallend ins Gesicht geschrieben stehen. Sie erklären mir, daß es im allgemeinen nicht üblich sei, eine Eingabe von seiten der Stasi zu beantworten, und: ich würde auf jeden Fall noch von der Abteilung Kultur eine ordentliche Auskunft erhalten. Ihnen gehe es eher um die Frage, ob ich ihnen nicht helfen könne, die quertreibenden und aufrührerischen Elemente des Jazzclubs zu benennen. Aha. Da haben wir's also. Mit ein paar Spitznamen meiner Freunde aus dem Jazzer-Kreis wollen sie mich genauso verblüffen wie mit der Kenntnis meiner Zigarettenmarke. Das klappt sicher auch: Ich finde keine Zeit, mich zu sammeln. Mir vertrauen sie; mein Vater ist schließlich stellvertretender Kreisschulrat, SED-Chef in seinem Heimatdorfe und auch sonst feste pro-DDR eingestellt. Von mir müsse doch da, führen sie recht süffisant aus, auch ein Interesse an der Säuberung des Jazzclubs zu erwarten sein.

Ich bleibe in meiner Igelstellung. So wechseln sie das Thema und steuern zielstrebig auf einige Vorkommnisse an meiner Arbeitsstelle zu. Da hat es Unregelmäßigkeiten beim Arbeitsablauf gegeben; es wurden uns schon hin und wieder von unseren Vorgesetzten Mutwillen und Vorsätzlichkeiten unterstellt und mit Untersuchungen gedroht. Tatsächlich.

Dieser Betrieb war in der Hauptsache ein Rüstungsbetrieb, der Motoren regenerierte. Ein paar Nebenproduktionsstätten wurden aber auch geführt; und in einer dieser zivilen Abteilungen arbeitete ich. Meine Meinung über die Unfähigkeit unseres Meisters sowie des Abteilungsleiters gab ich recht ungehemmt von mir. Das war aber nicht, was sie hören wollten. So schwenkten sie gleich wieder zum Jazzclub zurück. Dabei zeigte sich auch der Unterschied in meiner Mitteilsamkeit. Über die Arbeitsstelle sprach ich frei. Nicht über die Jazzer. Das fiel den Jungs natürlich auf. Machen konnten sie nichts.

Nach etwa zweieinhalb Stunden »Gespräch« reichte es den beiden. Sie entließen mich durch die beiden Türen mit dem mündlichen Hinweis, alles Besprochene sei vertraulich zu behandeln, ich hätte Schweigepflicht. Ich log Zustimmung und verschwand. Völlig aufgelöst und verstört. Nachmittags ging ich sofort zu einem vertrauten Freund, der beim Jazzclub mitarbeitete; ich erzählte ihm die Begebenheit. Zum einen konnte ich mit dem Umstand, mit der Stasi geredet zu haben, nicht allein fertig werden; und natürlich sollten die Clubleute auch wissen, was sich abgespielt hatte.

Die beiden Stasiisten hatten mir am Ende des Gesprächs angekündigt, ein paar Tage verstreichen zu lassen, um dann genau von mir zu erfragen, ob ich ihnen helfen wolle. Am festgesetzten Tag war ich wieder vor der besagten Doppeltüre. Die war verschlossen. Auch sonst erschien niemand mehr. Sie hatten's wohl kapiert. Danach hatte ich keinen mir bewußten Kontakt mehr mit derartigen Typen. — So war das also damals, im Sommer 1979, hier in Wurzen. Michael Scholz

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