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Aggressiv die Zähne putzen

■ Uraufführung zum Thema „Jugendgewalt“ in Rudolstadt

Viele Gegenwartsstücke werden in den neuen Bundesländern nicht gespielt. Es sei denn, sie sind äußerlich attraktiv. Jugendgangs und Gewalt sind so ein Thema, bei dem sich gesellschaftskritisches Engagegment der Theaterleute und ängstliche Neugier der Zuschauer gut ergänzen. Also wird Trevor GriffithsSkins in Leipzig gespielt, toben Nigel Williams aggressive Schüler aus demKlassenfeind über die Bühnen von Rostock und Chemnitz, probt Peter Degler sein Rockstück Glatze in Schwerin und Hermann Schein Christian Martins Amok in Magdeburg. In Smog verarbeitet Manuel Schöbel, Autor und Jung-Intendant am Ostberliner „Theater der Freundschaft“ Gefühle und Erfahrungen der Umbruchszeit, Typ: gesellschaftliches Problemstück mit philosophischem Tiefgang, das schwer an seinen literarischen Vorbildern und seiner Bedeutungslast trägt. Übervater Heiner Müller ist in jedem Sprachbild präsent. Gleichzeitig soll Smog ein Rockmusical sein: Also steigen die Figuren immer wieder aus der Handlung aus, kommentieren sie in braven Songs und erläutern ihre Gefühle.

Wer vom Berg auf die kleine thüringische Stadt Rudolstadt hinunterschaut, sieht den Smog wie ein Glocke das Tal verschließend. Smog legt sich auch über das Denken der Menschen im Stück. Jugendliche, die sich von der Gesellschaft aus- und angekotzt fühlen. Und „Smog“ heißt auch der Anführer der Kanalsystem- Bande, die zu Krawallen in die Stadt tobt, die „Kohleschädel klatscht“ oder „Schwule aufmischt“.

Die rivalisierende Gang besteht aus braven Aussteigern, die malen oder Bäume und Blumen anpflanzen. Ihr Anführer Krivan vertritt eine Philosophie der Gewaltlosigkeit. Nur wer sich wehrt, lebt verkehrt. Schöbels idealtypische Stückkonstruktion hat den Konflikt vorprogrammiert: Zwei einander ausschließende Haltungen, beide lehnen die Bürgerspießerwelt ab. So beginnt der Kampf, und die Bürger, die beides nicht mögen, sehen zu.

Wer das Stück vorher gelesen hat, wird es in der Rudolstädter Aufführung kaum wiederentdecken. Regisseurin Konstanze Lauterbach, kurzfristig für einen Kollegen eingesprungen, hat dem Rockmusical nicht getraut. Mit Recht, denn die seichte Schlagermusik im seifigen Stil der sechziger Jahre des jungen Hannoveraner Komponisten Christian Gundlach verkleistert die Songs und nimmt den Texten jede Aggressivität. Die Regisseurin löste Musik und Songs aus der Aufführung heraus; die Lieder werden in einem Konzert nach der Theatervorstellung im Theatercafé vorgestellt — für den, der's mag. Konstanze Lauterbach benutzt Schöbels Text nur mehr als Assoziationsmaterial für die Schauspieler und die Zuschauer. Sie choreographiert lose Szenenfolgen: Bilder einer neurotischen Gesellschaft. Die Aussteiger und Ausgestoßenen erkennt man sofort: Sie sind an Beinen und Armen behaart wie Tiere. Die Gegenwelt der Bürger rückt auch immer wieder ins Bild: Eine Sängerin im Abendkleid steigt aus dem Zuschauerraum auf die Bühne und singt Arien der Mignon, bevor eine Abendgesellschaft in breiter Phalanx an die Rampe schreitet und sich demonstrativ aggressiv die Zähne putzt.

Statt platt behauptendem Abbildrealismus ein sinnlicher, schwierig „direkt“ zu verstehender Theaterabend. Dem Autor schlug diese Behandlung seines Textes schwer auf den Magen, dem Stück bekam sie gut. Hartmut Krug

Smog von Manuel Schöbel. Regie: Konstanze Lauterbach, Bühnenbild: Tobias Wartenberg. Landestheater Rudolstadt. Nächste Aufführungen: 18. und 23.Januar.

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