: Gladiatoren im Überlebenskampf
In der Ära des Mountainbike strampeln die Querfeldein-Radler gegen den Zeitgeist 65 Amateure und fünf Profis bei der deutschen Meisterschaft/ Mike Kluge siegte konkurrenzlos ■ Aus Aachen Bernd Müllender
Mike Kluge aus Berlin, der Abo-Sieger bei den Profis, hatte gerade den potthäßlichen Siegerkranz im Friedhofsdesign umgehängt bekommen. Es war sein insgesamt neunter nationaler Titel in Folge, und er hatte mit ganzen zwei Sätzen durchaus Erhellendes zu sagen: Einmal, daß er für seinen locker überlegenen Sieg trotz Trainingsrückstand nicht an sein Limit heranfahren mußte. Und dann sein bezeichnender Versprecher, als er von „Mountainbike-Titelkämpfen“ sprach statt von dem, was im Aachener Gillesbachtal in den 50 Minuten des strapaziösen Rennens zuvor wirklich stattgefunden hatte: die deutsche Querfeldein-Meisterschaft.
Damit war das große Dilemma einer durchaus attraktiven Sportart genannt. Denn die Mountainbike- Events sind seit Jahren der Hit in der Szene, topdotiert für die Radcracks und nicht so bieder und traditionell wie das althergebrachte Crossfahren, das vor gut 20 Jahren eine Dekade lang weltweit vom Kölner Rolf Wolfshohl so souverän beherrscht wurde, daß sein Name fast zu einem Synonym für eine ganze Disziplin wurde. Heute, seit der Erfindung der breiträdrigen Bergboliden, fährt man nicht mehr einfach Rad, man biked. Was ist schon querfeldein gegen das (vermeintlich) spektakulärere waldein, waldaus, naturbesiegend über Bergrücken und wildeste Pisten, die davor nur motorgetriebene Gefährte schafften? Ein zudem industriefreundlicher Zeitgeist: Mountainbikes fürs Sommerwetter verkaufen sich allemal besser als Rennmaschinen für Matsch und Schnee in einer Disziplin, die sich merkwürdigerweise zum Wintersport zählt.
Dabei hat Crossradfahren insbesondere als Zuschauersport seinen eigenen herben Charme. Die Aachener Rundstrecke führte mitten durch das rustikale Festzelt mit seiner Rostbratwurstatmosphäre, und neben dem Bierausschank mußten die Pedaleure das Zelt mit einem Sprung über eine kleine Rampe verlassen. Der Matsch auf den Wiesenschräglagen verlangte alles ab, und dabei konnten die keuchenden Cracks noch froh sein, daß sie ganz knapp am Frost vorbeigekommen waren und zuvor wenig Regen die Piste aufgeschlemmt hatte. So richtig dreckgesprenkelt wie einer Fango-Packung aus der Spritzpistole war keiner. Die steilste Laufstrecke bergan brachte für so manchen der dichtgedrängten Besucher Überraschungen: Viele hetzten ja mit durchaus elegant geschultertem Rad den Berg hinauf, andere aber, insbesondere gegen Ende bei nachlassender Kondition, schleppten ihr Sportgerät so verquer und schwankend hinauf, daß die besonders Neugierigen in der ersten Reihe mehrfach selbst zu sportiven Ausweichsprüngen gezwungen waren, um nicht den Haarschopf rasiert zu bekommen.
Berufsfahrer Mike Kluge, „der Akrobat auf der Rennmaschine“ (Lautsprecher), fuhr dem Feld der „Gladiatoren der Radsportszene“ (Aachens OB) von Anfang an locker davon. 65 seiner Gegner waren Amateure, die ihre eigene Wertung hatten — es siegte als immerhin Gesamtzweiter der Frankfurter Ralph Berner, der davon profitierte, daß sich sein stärker eingeschätzter Bruder Timo eine Woche zuvor das Schlüsselbein gebrochen hatte und somit fehlte. Kluge hatte nur vier professionelle Konkurrenten, ein wahrlich karges Teilnehmerfeld, das aber dennoch Rekordbeteiligung der letzten Jahre bedeutete. 1991 in Denzlingen mußte gar händeringend ein dritter Starter gesucht werden, damit überhaupt ein statutengerechtes Profifeld zusammenkam. Die Gladiatoren sterben aus, heißt: suchen sich lukrativere Arenen.
Das Zuschauerinteresse war entgegengesetzt. An die 10.000, Meisterschaftsrekord seit Wolfshohls Zeiten, waren im ansonsten ausgesprochen spitzensportarmen Aachen gekommen. Und so jubilierte der Vorsitzende des veranstaltenden Radclubs Zugvogel: „Ich bin platt über die Resonanz.“ Kann ein Radlerfunktionär ein sinnigeres Wort finden, wo doch der ganzen Branche gerade die Luft ausgeht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen