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Von der Rückkehr zur Flucht

Die Rückführung von Flüchtlingen gilt als unverzichtbares Element der Lösung regionaler Krisen. In Burundi, wo das UNHCR inmitten politischer Instabilität Repatriierungen durchführt, ist das Ergebnis ein anderes: schwere ethnische Konflikte, neue Fluchtbewegungen.  ■ VON FRANÇOIS MISSER

Bewaffneter Koflikt, Repression und Flucht: In Ost- Zentralafrika ist dieser bekannte Kreislauf seit dem 23. November letzten Jahres wieder in Gange. An diesem Tage startete die Guerilla der „Partei zur Befreiung des Hutu-Volkes“ (Palipehutu) Angriffe gegen zivile und militärische Ziele in Burundi. Die darauffolgenden Repressalien haben zu einem Exodus von etwa 50.000 Menschen in die Nachbarstaaten Ruanda und Zaire geführt.

Zum Jahreswechsel befanden sich 10.000 Neuflüchtlinge aus dem burundischen Mehrheitsvolk der Hutu in Ruanda. 40.000 sind nach Zaire gelangt, wo sie unter äußerst prekären Bedingungen zu überleben versuchen. „In der Bugarama-Region, an der Grenze zwischen den drei Ländern, sterben jeden Tag Kinder vor Hunger“, erklärt der belgische Jurist Filip Reyntjens. „Sie haben keine Medikamente, keine Lebensmittel und keine Zelte, und dabei ist die Regenzeit noch nicht beendet.“ Reyntjens gehört einer von belgischen und deutschen Hilfsorganisationen beauftragten Kommission zur Untersuchung der Gewalt in Burundi an. Ins ruandesische Lager Nshili, berichtet der Jurist, kamen zeitweise jeden Tag 500 Flüchtlinge aus Burundi. Sie flohen vor der Repression der burundischen Armee, die sich hauptsächlich aus dem Minderheitsvolk der Tutsi rekrutiert und die in der Woche nach dem 25. November „ohne ersichtlichen Grund“ im nördlichen Bukinanyana 600 Zivilisten ermordet haben soll.

Insgesamt, so die Kommission — der auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Brigitte Erler angehört — sind seit Beginn der Auseinandersetzungen in Burundi 3.000 Menschen umgekommen. Die offizielle Bilanz der Behörden zählte Anfang Januar 551 Tote.

Noch Ende Dezember hielt die Jagd auf Rebellen an, wie der Provinzverwalter der Provinz Bubanza zugab. Und Gerüchte eines unmittelbar bevorstehenden neuen Angriffs der „Palipehutu“ nähren die beständige Angst unter der Bevölkerung. Nichtsdestotrotz hat sich nun eine gewisse Ruhe wieder eingestellt, meint Eugene Nindorara, Präsident der Burundischen Menschenrechtsliga, und einige Flüchtlinge kehren wieder zurück.

10.000 Flüchtlinge repatriiert

Der Ausbruch neuer Spannungen geschieht zu einer Zeit, in der sich für das jahrzehntealte Flüchtlingsproblem der Region — insbesondere für die 178.000 Burunder in Tansania — eine Lösung abzeichnet. Im Zuge der Politik der „nationalen Versöhnung“, die Burundis Präsident Pierre Buyoya seit 1988 verfolgt, ist es zu einer politischen Öffnung gekommen, in deren Rahmen erstmals eine Hutu-Mehrheit im Kabinett entstanden ist. Auch der Premierminister ist Hutu. Nur in der nach wie vor Tutsi-dominierten Armee läßt der Wandel noch auf sich warten.

Unter dem Eindruck dieser Veränderung konnten im Jahre 1991 10.000 Burunder aus Tansania in ihr Heimatland zurückkehren. Sie oder ihre Eltern hatten Burundi 1972 verlassen, nachdem die Armee eine Hutu-Rebellion blutig niedergeschlagen hatte. — Am 27. August des vergangenen Jahres hatten Burundi, Tansania und das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) ein Abkommen unterzeichnet, das eine Reintegration der Rückkehrer — zumeist Bauern — in ihre Heimatdörfer vorsah. Lehrer, Mediziner, Ingenieure gehören zu den Wiedereingegliederten, sagt der Präsident der Repatriierungskommission Luc Rukingama, ein Hutu. 500 Kinder sind in Burundi eingeschult worden. Wer in Tansania bleiben will, kann dies tun und die tansanische Staatsbürgerschaft annehmen. Um Vertrauen unter Rückkehrkandidaten zu schaffen, bereisten zwei burundische Bischöfe — ein Tutsi und ein Hutu — im vergangenen September die Flüchtlingslager von Tansania.

Die „Palipehutu“, die die Tutsi- Herrschaft in Burundi militant bekämpft, ist zwar in diesen Lagern aktiv. Rukingama erklärt jedoch, keiner der Rückkehrer habe an den Operationen der „Palipehutu“ teilgenommen. Vielmehr war es aufgrund der Rückkehrbewegung möglich, daß sich in Tansania agierende Mitglieder der Bewegung nach Burundi schleusten — und dann am 23. November bewaffnete Auseinandersetzungen ausbrachen.

Eine ähnliche Situation hat es in der Region schon einmal gegeben. Im Oktober 1990 marschierte die Guerillabewegung“ „Ruandesische Patriotische Front“ (RPF) aus Uganda nach Ruanda ein, was dort zu einem monatelangen Krieg führte. Damals war jedoch die Frage der Rückkehr von Flüchtlingen ungelöst. Die Diskussionen zwischen Ruanda, Uganda und dem UNHCR traten auf der Stelle. Ob die 145.000 ruandesischen Flüchtlinge in Uganda Repatriierung oder Integration im Gastland bevorzugten, hatte noch niemand herausgefunden.

Die Regierung von Ruanda wollte über eine Rückkehr in jedem Einzelfall neu entscheiden können und damit die Flüchtlinge abschrecken, mit dem Argument, das Land sei überbevölkert. Dies trug zur Hartnäckigkeit der RPF bei. Zu jener Zeit hatte es auch noch keine Gespräche über die Zukunft der 268.000 burundischen Flüchtlinge in Zaire gegeben, die einen Präzedenzfall hätten darstellen können. Und die ausschließlich aus Hutus bestehende Regierung war wenig begeistert von dem Gedanken, zumeist dem Tutsi-Volk angehörende Rückkehrer aufnehmen zu müssen.

Wie damals in Ruanda die bewaffnete Rebellion von Tutsi-Flüchtlingen gegen eine Hutu-Regierung, so heute in Burundi die Rebellion von Hutu-Flüchtlingen gegen eine Tutsi- Regierung — die Parallele drängt sich auf. Doch der „Palipehutu“-Angriff, so sagt jedenfalls Burundis Präsident Buyoya, läßt sich nicht damit erklären, daß Flüchtlinge nicht zurückkehren dürfen, sondern vielmehr genau mit der begonnenen Rückkehrbewegung. Amtliche These: Die Rebellen fürchten, ihre Rekrutierungsbasis in den Lagern zu verlieren.

„Tribalismus“ verboten

Innenminister Libere Bararunyeretse meint: Der Angriff sollte ein Referendum zur Einführung des Mehrparteiensystems verhindern, das für den Februar geplant ist, „tribalistische“ Gruppen wie die Palipehutu jedoch ausschließen soll.

Die „Palipehutu“ bestreitet, die Auseinandersetzungen verursacht zu haben, und unterstreicht ihre Gewaltlosigkeit — die Exilführung genauso wie diejenigen Politbüro-Mitglieder, die wegen Komplizität mit einem illegalen Eindringen von Aktivisten aus Tansania seit September im Mpimba-Gefängnis der Hauptstadt Bujumbara sitzen. Da die Führung hinter Gittern saß, so die Erklärung, konnte sie auch keine Angriffe befehligen. Doch die militärische Führung der Partei operiert weitgehend getrennt von der politischen.

Keiner in Bujumbara bezweifelt, daß die „Palipehutu“ doch beteiligt war — auch nicht die oppositionelle „Front für Demokratie in Burundi“. Diplomaten berichten von Annäherungsversuchen einiger „Palipehutu“-Führer vor dem 23. November. Sie hätten um Unterstützung für einen eventuellen Aufstand ersucht und dies mit der „Arroganz der Tutsis“ begründet.

50 Kilometer außerhalb Burundis Hauptstadt liegt das Gefängnis von Bubonza. Die meisten Häftlinge sind junge Bauern. Manche wurden geschlagen, andere gefoltert. Einige sprechen uns spontan an: Man habe sie in Tansania angeworben, in den Lagern von Mishamo und Gatumba.

Glücksritter mit Knüppeln und Macheten

Einer will dort eine militärische Grundausbildung erhalten haben. Später, in Muzinda, beschreiben uns Lehrer die lächerliche Ausrüstung der Rebellen: Knüppel, Pfeil und Bogen, Macheten. Narben von rituellen Schröpfungen weisen die meisten dieser Glücksritter auf — damit sollten sie gegen feindliche Kugeln geschützt werden.

Die Bevölkerung, so hätten ihnen ihre Anführer weisgemacht, würde sie mit offenen Armen empfangen. Ihr Land sollten sie „befreien“. Von politischen Veränderungen in ihrer burundischen Heimat, erzählen sie, hätten sie nie etwas gehört.

Um so größer die Überraschung, als sie statt dessen gejagt und an die Militärs ausgeliefert wurden. Doch nicht ohne Grund: In Ngere nahmen sich die Krieger aus Verärgerung darüber, daß sie die eigentlich zum Töten auserwählten Tutsi-Krankenpfleger nicht finden konnten, eine Hutu-Frau vor und schnitten ihr mit der Machete einen Arm ab. Gervais und Deo, 18 und 29 Jahre alt, erzählen uns von einem Fluchtversuch. Die „Palipehutu“ hätte sie aber mit Waffengewalt zurückgehalten.

Hexenjagd der „Verteidigungskomitees“

Die Furcht vor der „Arroganz der Tutsis“ ist aber nicht unbegründet. Ein verstärkter Tutsi-Extremismus äußerte sich in den Übergriffen der burundischen Armee nach den ersten „Palipehutu“-Angriffen, wie auch in mancher Kritik an der Regierung Buyoya.

So setzen manche Kreise die Haftentlassung von Hutu-Bürgern, gegen die nichts vorliegt, mit einer Amnestie der Rebellen gleich. Und auch die Drohung der Regierung, gegen Militärs vorzugehen, die sich Übergriffe schuldig gemacht haben, gefällt nicht überall. Der Generalsekretär der Regierungspartei „Union für den Nationalen Fortschritt“ mußte bereits seine Aktivisten aufrufen, nicht zu „globalisieren“ und nicht jeden Hutu zum Rebellen abzustempeln.

Zu befürchten ist, daß die in jedem Viertel und auf jedem Hügel eingerichteten „Soldarischen Verteidigungskomitees“ zu einer regelrechten Hexenjagd dienen, die einerseits die „Palipehutu“ ermutigt und andererseits die noch im Ausland befindlichen Flüchtlinge von einer Rückkehr abhält.

Die Gefahr ist umso reeller, als die Ideologie der „Palipehutu“ eng mit der der Regierung Ruandas übereinstimmt und die Partei dort daher über viele Mittel verfügt, um den Druck fortzusetzen. Ihre Aktivisten haben Zugang zu den Flüchtlingslagern. Am 3. Dezember strahlte das ruandesische „Radio Kigali“ einen Aufruf der „Palipehutu“ an die Burunder aus, sich gegen ihre Regierung zu erheben. Und die Zeitung 'Kangura‘, die sich in der Vergangenheit durch rassistische Tiraden gegen Tutsis hervorgetan hat, stellte der „Palipehutu“ eine Kolumne zur Verfügung, in der diese die burundische Armee als „Gestapo“ bezeichnete.

Das Klima zwischen beiden Ländern verschlechterte sich im Dezember mit der „Botschaftsaffäre“: Als die „Verteidigungskomitees“ von Bujumbura auf „Rebellenjagd“ gingen, flüchteten sich 228 Menschen, die von Burundi der Komplizenschaft mit der „Palipehutu“ bezichtigt wurden, in die ruandesische Botschaft und konnten sich dort mehrere Wochen aufhalten.

Ruanda beschuldigt Burundi seinerseits, 1.500 ruandesische Flüchtlingen die Reise in RPF-Ausbildungslager in Uganda ermöglicht zu haben. Außerdem beklagt es sich über die Restriktionen für ruandesische Staatsbürger, die seit Juli Burundi nicht mehr frei besuchen dürfen.

Die Aufgeregtheit geht teilweise so weit, daß Krieg befürchtet wird. Ruanda lebt in der Angst eines „Tutsi-Reiches“ seiner nördlichen und südlichen Nachbarn — Ugandas Präsident Yoweri Museveni und Burundis Präsident Buyoya gehören zur selben Tutsi-Untergruppe. Burundi fürchtet die ruandesische Armee, viermal größer als die eigene, die versuchen könnte, mit der „Palipehutu“ eine Hutu-Regierung in Bujumbura zu installieren.

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