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Proteste gegen Jelzins Preisfreigabe

■ Demonstrationen für die alte UdSSR auch in entlegenen Provinzen/ Altkommunisten fürchten um ihre Privilegien/ Kasachstan und Turkmenistan frieren Preise für Grundnahrungsmittel wieder ein

Moskau (taz/ap/afp) — Immer mehr Menschen in Rußland gehen auf die Straße, um gegen die von Jelzin durchgeführte Preisfreigabe zu protestieren. Selbst in der entferntesten Provinz wächst die Unruhe unter der Bevölkerung und macht sich in handfesten Protestaktionen Luft. So meldete gestern die Polizei in Karelien, daß immer häufiger Privatläden angegriffen würden. Der viertägige Proteststreik von Bergarbeitern im Kohlerevier von Workuta wurde dagegen zunächst beendet. Ein Sprecher der Gewerkschaft sagte, den Kumpeln seien höhere Löhne zugesagt worden.

Doch damit läßt man sich heute nicht mehr abspeisen. Die Leitung der Kohlengruben hätte zusichern müssen, daß ein Teil der Lohnzahlung künftig in Naturalien ausgezahlt werde, sagte Juri Daschko, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft gegenüber 'Tass‘. Die Bergleute hatten am vergangenen Donnerstag die Arbeit niedergelegt, um gegen die seit der Freigabe am 2. Januar steigenden Preise zu protestieren.

Währenddessen kam es sonntags in Moskau zu verschiedenen Protestkundgebungen gegen Boris Jelzin, zu denen vor allem orthodoxe Kommunisten aufgerufen hatten. 5.000 Menschen mit Stalin-Bildern im Gepäck demonstrierten auf dem Moskauer Manegeplatz für niedrigere Preise und eine bessere Versorgung im Land. Am Kutusowski-Prospekt blockierten derweil etwa 1.500 MoskauerInnen eine Brücke, um auf den Mangel an Milch in den Geschäften aufmerksam zu machen. „Ähnliche Massentreffen von Bolschewisten“ gab es auch in Rostow, St. Petersburg und Tscheljabinsk, ebenso wie in Turkmeniens Hauptstadt Aschkabad. Viele der DemonstrantInnen forderten dabei die Wiederherstellung der zerfallenen Sowjetunion.

In der Republik Turkmenistan griff daraufhin Präsident Saparmurad Nijasow ein: Er ordnete eine Halbierung der Preise für Butter und einige Fleischsorten an. Butter kostet nun „nur“ noch 45 Rubel pro Kilogramm. Doch bei einem Durchschnittslohn von 960 Rubel im Monat werden sich viele diesen Luxus weiterhin versagen müssen. Auch Kasachstan und Turkmenistan kündigten abschwächende Maßnahmen an. So sollen die Preise für Grundnahrungsmittel wieder eingefroren werden, um Härten für sozial schwache Bevölkerungsgruppen zu vermeiden.

Die Zunahme von Kundgebungen auch in entlegenen Landesteilen führten gestern zu verschiedenen Spekulationen. So äußerten Beobachter, daß militante Gruppen wie Trudowaja Moskwa (Moskauer Arbeit), deren harter Kern nur aus einigen hundert Menschen bestehe, offensichtlich ihren Einfluß auch in der Provinz verstärken konnten. Diese würden anscheinend von Kommunisten unterstützt, die den Verlust ihrer Privilegien befürchten müßten.

Die Befürchtung ist auch wirklich nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn der stellvertretende russische Ministerpräsident Gennadi Burbulis hat bereits erklärt, führende Funktionäre würden gegen Ende des Monats überprüft und müßten mit der Entlassung rechnen: „Wir können es den Chefs regionaler Verwaltungen, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind oder sabotieren, nicht erlauben, auf ihren Posten zu bleiben.“

Auch Präsident Boris Jelzin hat Verständnis für den Unmut in der Bevölkerung. In Uljanowsk kündigte er am Wochenende nach einem Besuch an, die Preise für Brot, Milchprodukte und andere Nahrungsmittel würden wieder gesenkt. bz

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