Noch trennt der Transrapid Hamburg von Berlin

■ Henning Voscherau zeigt sich begeistert über Günther Krauses Zukunftspläne mit der Magnetschwebebahn/ Die Berliner Regierungskoalition will vor allem den schnellen Ausbau der ICE-Strecke nach Hamburg/ Großflughafen umstritten

Hamburg/Berlin (taz) — Hamburgs diätengeschüttelter erster Bürgermeister Henning Vorscherau (SPD) hat seit geraumer Zeit ein neues Steckenpferd, die Verkehrspolitik. So findet sich denn auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit folgende Passage in seinen Reden: „Machen wir die 90er Jahre zum Jahrzehnt der europäischen, der deutschen, der regionalen und lokalen Verkehrspolitik.“ Kein Wunder, daß Vorscherau auch blitzartig auf jenes seltsamen, wie Sachkenner meinen, politisch bestellten Gutachten reagierte, nach dem die Bundesbahn, der Bundesforschungsminister sowie der Bundesverkehrsminister dem umstrittenen Transrapid die Einsatzreife bescheinigten.

„Investitionsabenteuer“

Während beim Transrapid noch viele technische und praktische Fragen kaum geklärt sind (Lärm bei Tempo 400, Gegenverkehr bei Tempo 400, Notfälle auf freier Strecke), entdeckte Voscherau sogleich einen „Wendepunkt der verkehrspolitischen Perspektiven unseres Landes“. Für Hamburg und Berlin, so der Landeschef, „bietet sich gleichzeitig eine neue Chance, die auf uns zukommenden Verkehrsprobleme innovativ anzupacken, die beiden bedeutendsten deutschen Städte, Zentren von Politik und Außenwirtschaft, miteinander konkurrenzlos zu verbinden“.

Für den SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Werner Dobritz, einen der wenigen hanseatischen Sozialdemokraten mit verkehrspolitischem Sachverstand, ist der Transrapid dagegen ein kostspieliges Investitionsabenteuer, das in fragwürdiger Konkurrenz zur Bahnstrecke nach Berlin steht. Deren Ausbau für Tempo 200 ist bereits beschlossene Sache — auch Tempo 250 oder 280 wären möglich — gegen weit geringere Mehrkosten als eine neue Transrapidstrecke. Der Zeitvorteil des Milliardenspielzeugs Transrapid würde dann auf bescheidene zehn Minuten dahinschmelzen: zu wenig, um die riskante Investition zu rechtfertigen.

Doch Dobritz steht mit seinen Bedenken allein auf weiter Flur. Hamburgs neue Verkehrsbehörde hüllt sich in vornehmes Schweigen — die Angelegenheit ist Chefsache. Und Voscherau braucht dringend positive Schlagzeilen — und sei es nur mit glitzernden Prospektfotos. Einen handfesten Grund für Hamburgs Transrapid-Liebe gibt es allerdings: Sollte im mecklenburgischen Parchim auf dem Gelände eines verseuchten sowjetischen Militärflughafens ein neuer Großflughafen aus dem Boden gestampft werden, machte die Magnetbahn ein bißchen Sinn. Oder umgekehrt: Gibt es eine Magnetbahn, dann muß auch der Großflughafen her.

Diese Koppelung zweier Großprojekte stößt selbst bei der Hamburger Handelskammer auf wenig Gegenliebe. Sie sieht in einem Großflughafen zwischen Berlin und Hamburg keinen Sinn.

Berlin wiederum reagiert äußerst zurückhaltend auf die Pläne von Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU), die beiden Großstädte mit einer Magnetschwebebahn zu verbinden. Bis auf die Industrie- und Handelskammer hält hier dieses Projekt niemand für notwendig. Wenn Krause den Transrapid durchsetzen wolle, dürfe aber nicht an Investitionen bei der Bundesbahn gespart werden. Krauses Lieblingskind, der gemeinsame Großflughafen bei Parchim, stößt in der neuen Hauptstadt bei Regierung und Opposition ebenfalls auf Ablehnung.

Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) begrüßt zwar, daß die Schwebebahn einsatzfähig sein soll. Wichtig für Berlin sei jedoch, daß die vernachlässigten Eisenbahnverbindungen in den neuen Ländern modernisiert und Berlin darüber hinaus schnell in das ICE- oder gesamteuropäische Schnellbahnnetz integriert werde.

In der Berliner CDU gebe es zwar noch keine abschließende Meinung, berichtet der verkehrspolitische Sprecher Rainer Giesel, dennoch sei er sehr skeptisch, ob das Transrapid- System einsatzreif sei. Giesel spielt damit auf ein Gutachten an, das der Bundesverkehrsminister gemeinsam mit dem Forschungsminister in der vergangenen Woche vorgestellt hatte: Gegenverkehr im Tunnel und Einsatztauglichkeit im Winter sind bisher nicht getestet worden. Giesel hält eine Ankoppelung an den Eisenbahnverkehr in Berlins Innenstadt „jedenfalls für unmöglich“. Schon jetzt haben Stadtplaner Schwierigkeiten, die notwendigen Nah- und Fernverkehrsröhren, einen Straßentunnel und einen Umsteigebahnhof unter oder in unmittelbarer Nähe des zentralen Tiergartens zu plazieren. Doch wenn der „Schienenflieger“ vor der Stadt halte und die Fahrgäste erst auf andere öffentliche Verkehrsmittel umsteigen müssen, gehe jeder Zeitvorteil verloren.

SPD-Fraktionsführer Ditmar Staffelt hält die Anbindung an Hamburg für „wenig einsichtig“, da Berlin auf dieser Strecke an das ICE- Netz angeschlossen werde. Gemeinsam mit der CDU spricht sich die SPD ausdrücklich gegen Krauses Überlegung aus, einen neuen Großflughafen zwischen den 300 Kilometer auseinanderliegenden Metropolen zu bauen. Die Regierungsstadt plant ein Rollfeld für jährlich 40 Millionen Fluggäste südlich von Berlin.

Das Bündnis 90/Grüne lehnt den Transrapid ab, weil er wie ein Tiefflieger lärme. Die Berliner FDP wiederum befürwortet den Stelzenflitzer, bevorzugt aber eine Streckenführung Berlin—Leipzig. Nur die Industrie- und Handelskammer bejaht Krauses Magnetstrecke. Dennoch müsse die ICE-Strecke dringend weitergebaut werden, weil der Transrapid keine Güter transportieren könne. Sigrun Nickel/Dirk Wildt