Der Grat ist schmal

■ Die Argumente für die Entlassung von DDR-Richtern sind oft Heuchelei

Seit Monaten werden die Richter der DDR von westdeutschen Juristen auf ihre fachliche Qualifikation und politische Belastung überprüft. Am Ende wird höchstens ein Drittel bleiben. Ein annehmbares Ergebnis, wird mancher denken, denn erstens lagen ihre Diplome fachlich weit unter dem Niveau westlicher Examen, zweitens waren sie politisch sorgfältig ausgewählt, und drittens müssen wir den Fehler von 1949 vermeiden, als der Aufbau der Justiz durch ein große Zahl belasteter Richter behindert wurde. Alles richtig und alles falsch. Erstens lernt man in der Praxis täglicher Arbeit besser als durch ein Examen. Learning by doing. Zweitens muß man auch meistens sehr jungen Richtern zubilligen, daß sie ihre politische Meinung ändern. Wer wirklich belastet ist, wer politische Gegner mit den Mitteln der Justiz verfolgt hat, ist als Richter ungeeignet. Keine Frage. Aber damit sind wir genau beim Thema. Nichts anderes geschieht jetzt, wenn westdeutsche Richter über ihre ostdeutschen Kollegen urteilen. Der Grat ist schmal, auf dem sie wandern. Es geht nicht ohne Überprüfung. Aber man vergißt, daß drittens unser Problem mit den Nazirichtern eines der Obergerichte war, in die jene aus dem Osten selten aufsteigen werden. Siehe erstens. Oberlandesgerichte, Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht. Da werden die Weichen gestellt, nicht bei Untergerichten, deren Urteile notfalls wieder aufgehoben werden können. Und man vergißt, was 1949 das richtige Prinzip war, auch wenn die Praxis falsch gewesen ist. Das Prinzip des Artikels 131 Grundgesetz war Integration statt Ausgrenzung beim Aufbau einer neuen Demokratie. Damals nicht ganz ungefährlich. Heute, beim Ausbau einer innerlich gefestigten Bundesrepublik jedenfalls, ist das alte Freund-Feind-Denken völlig unangebracht und das Argument mit 1949 oft nur eine peinliche Heuchelei. Uwe Wesel

Der Autor ist Professor für Bürgerliches Recht an der FU Berlin.