piwik no script img

Mord im Auftrag der Armee?

Der Belfaster Prozeß gegen Brian Nelson verspricht eine Sensation zu werden  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Heute beginnt in der nordirischen Hauptstadt Belfast ein Prozeß, der bei der britischen Armee rote Köpfe verursachen wird. Angeklagt ist der 42jährige Brian Nelson. Ihm werden 34 verschiedene Verbrechen zur Last gelegt, darunter zwei Morde, vier Mordkomplotts, unerlaubter Waffenbesitz und Diebstahl geheimer Armee- und Polizeiakten, die bei der Planung terroristischer Verbrechen benutzt worden seien.

Nelson, ehemaliger britischer Soldat, war Mitglied der Ulster Defence Association (UDA), einer legalen protestantischen Organisation, die unter ihrem Decknamen Ulster Freedom Fighters (UFF) Dutzende von Katholiken in Nordirland ermordet hat. 1990 wurde er im Zuge der Stevens-Untersuchung verhaftet. Die Polizei war eingesetzt worden, nachdem Hunderte von Personalakten „mutmaßlicher IRA-Mitglieder und Sympathisanten“ aus Armee- und Polizeikasernen „verschwunden“ und bei protestantischen Paramilitärs wieder aufgetaucht waren. Anhand der Akten wurden regelrechte Todeslisten aufgestellt.

Nach Nelsons Verhaftung stellte sich zur Überraschung der Polizei heraus, daß er seit zehn Jahren für den militärischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Das hat die britische Armee bereits zugegeben. Sie bestreitet jedoch, daß Nelson die ihm zur Last gelegten Taten mit Wissen von Armeeoffizieren begangen habe, obwohl sämtliche Anklagepunkte in den Zeitraum seiner Agententätigkeit fallen.

Weitaus peinlicher für den militärischen Spitzeldienst ist jedoch eine Behauptung, die das BBC-Magazin Panorama nach Interviews mit Nelson aufgestellt hat. Demnach soll Nelsons Armeekontakt ihn dazu aufgefordert haben, die UDA zu einer Bombenkampagne in der Republik Irland zu bewegen. So sollte Druck auf die Dubliner Regierung ausgeübt werden, die Auslieferung politischer Gefangener an Großbritannien zu vereinfachen. Viele Beweise sind vermutlich den Flammen zum Opfer gefallen. Die Umstände sind dubios: Das Feuer im Büro des Stevens-Untersuchungsausschusses, das wertvolle Unterlagen vernichtete, brach 1990 wenige Stunden vor Nelsons Verhaftung aus.

Fest steht jedenfalls, daß die Polizei durch Nelsons Verhaftung einen der wichtigsten Armee-Agenten aus dem Verkehr gezogen hat. Wegen der Brisanz des Falles hat sich sogar das britische Kabinett damit beschäftigt. Der Prozeß, der sieben Wochen dauern wird, verspricht sensationelle Enthüllungen, da zum erstenmal die Aktivitäten des militärischen Geheimdiensts öffentlich in einem Gerichtssaal erörtert werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen