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Kurdischer Politiker „verschwunden“

■ Angehörige befürchten Entführung durch Geheimpolizei/ Parallelen zum Mord im vergangenen Jahr

Berlin (dpa/taz) — Der Vorsitzende des Provinzverbandes der überwiegend kurdischen Volkspartei der Arbeit (HEP) im südostanatolischen Siirt, Mehmet Demir, ist seit vergangenem Freitag spurlos verschwunden. Die zuständige türkische Staatsanwaltschaft teilte zwar mit, Demir sei von der Polizei nicht festgenommen worden. Das in Paris ansässige Kurdistan-Komitee gab jedoch am Montag abend bekannt, Demir sei am 10.Januar entführt worden. Die Täter vermutet das Kurdistan-Komitee in den Reihen der türkischen „Konterguerilla“, einer geheimen Geheimdienstorganisation, die dem Befehl des „Amtes für spezielle Kriegsführung“ untersteht.

Wie Familienangehörige des Verschwundenen erklärten, habe Demir, der ein Restaurant im Stadtzentrum von Siirt betreibt, am Freitag abend das Geld aus der Kasse genommen und erklärt, er werde das Lokal für rund zehn Minuten verlassen. Seither sei er verschwunden. Haydar Demir, der Bruder des Verschwundenen, gab gegenüber türkischen Journalisten an, Zivilpolizisten hätten den Politiker entführt. Der kurdische Intellektuelle Demir saß nach dem Militärputsch vom 12.September 1980 drei Jahre im Gefängnis. Seit ihrer Gründung im Jahr 1990 gehört er zu der sozialdemokratisch- kurdischen HEP.

Das Verschwinden Demirs erinnert fatal an die Entführung des HEP- Politikers Vedat Aydin. Der Vorsitzende des HEP-Provinzverbandes in Diyarbakir wurde nach seinem mysteriösem Verschwinden im vergangenen Juli in einem Straßengraben erschossen aufgefunden. Bei seiner Beisetzung kam es zu Demonstrationen. In deren Verlauf starben fünf Menschen im Kugelhagel der „Rambos“, den türkischen Sondereinsatztruppen in Kurdistan. Rund 120 Menschen wurden verletzt und mehr als 300 Personen festgenommen.

Auch in diesen Tagen ist die Stimmung in Kurdistan explosiv. Wie das Pariser Kurdistan-Komitee mitteilte, haben türkische Militärs am Montag während der von 15.000 Kurden besuchten Beisetzungsfeier für einen ermordeten Studenten in Südostanatolien mit Maschinengewehren geschossen. Angaben über mögliche Opfer wurden nicht gemacht. Nach türkischen Presseberichten soll der von Unbekannten ermordete Student Dokumente der kurdischen Guerilla-Gruppe PKK bei sich gehabt haben. Auf seiner Beerdigung wurden Hochrufe auf den Chef der PKK, Apo Öcalan, laut.

Angesichts der Zuspitzung in Kurdistan hat der neue konservative Innenminister Sezgin (DYL) die Sicherheitsorgane angewiesen, keine Gewalt gegen die Bevölkerung anzuwenden. Bei den Truppen in Kurdistan stieß diese Dienstanweisung aus Ankara jedoch offensichtlich auf taube Ohren, wie der sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Mahmut Alinak (CHP) kritisierte. dora

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