Die FIS meldet sich zu Wort

■ Algeriens Islamisten lassen in ihrer ersten Stellungnahme zum Putsch alle Möglichkeiten offen/ Keine konkreten Handlungsanweisungen/ Appell an die Bevölkerung schließt ausdrücklich auch Intellektuelle und Offiziere ein

Algier/Berlin (afp/taz) — Während politische und religiöse Führer die algerische Bevölkerung in den Moscheen zur Ruhe und Besonnenheit aufrufen, hat die Islamische Heilsfront (FIS) am Montag abend ihre erste offizielle Stellungnahme seit dem Militärputsch vom Sonntag veröffentlicht. Die Führer der FIS, die an einem geheim gehaltenen Ort tagen, forderten die Bevölkerung auf, sich „auf alle Möglichkeiten vorzubereiten, um das Land aus der gefährlichen Lage zu retten“. In dem politisch breitgefächerten Appell hieß es, niemand dürfe sich jetzt neutral verhalten. Verschiedene Gruppen der Bevölkerung wurden ausdrücklich angesprochen, darunter neben den Intellektuellen auch Offiziere der Armee. Das Volk dürfe nicht zulassen, daß sein Willen ignoriert wird, hieß es unter Anspielung auf die vom herrschenden Sicherheitsrat abgesetzten Wahlen.

In der Erklärung wird von einer einzigartigen Krise in Algerien gesprochen, die alle möglichen Gefahren für die Einheit und Sicherheit des Landes in sich berge. Verantwortlich dafür sei allein der Machthunger einer Gruppe, die Unterdrückung und Terror ausübe. Den erzwungen Rücktritt von Präsident Chadli Bendschedid bezeichneten die Islamisten als verfassungswidrig. Die Entscheidung Bendschedid gehöre zu einem Manöver, mit dem das „islamische Projekt“ vereitelt werden solle. Konkrete Handlungsanweisungen, etwa ein Aufruf an die Algerier und Algerierinnen, auf die Staße zu gehen, fehlten in der Erklärung. Die Führung der FIS steckt in der Tat in einem Dilemma: Ein Aufruf zu massiven Protesten würde ein vermutlich blutiges Eingreifen des Militärs nach sich ziehen; ein widerstandslosen Hinnehmen des internen Putsches aber von den eigenen Anhängern, vor allem den militanten Jugendlichen, nicht verstanden werden. Es ist anzunehmen, daß die Führung der Islamisten, deren eigentliche Chefs im Gefängnis sitzen, in der Frage des weiteren Kurses uneins sind. Mit der Formulierung, die Bevölkerung solle sich auf alle Möglichkeiten des Widerstandes vorbereiten, hat sich die FIS zunächst einmal elegant aus der Affäre gezogen. Gleichzeitig wird implizit das Militär für eventuelle Zusammenstöße verantwortlich gemacht.

Warnungen vor einem Bürgerkrieg

Der Führer der sozialistischen FFS, Ait Ahmad, schlug in eine ähnliche Kerbe, als er in einem Interview erklärte, er hoffe, daß die Islamisten ihre Anhänger „bändigen“ könnten und sich nicht zu Aktionen verleiten ließen, die den Anfang eines Bürgerkrieges bedeuten könnten. Die FFS war bei der ersten Runde der Parlamentswahlen Ende Dezember als zweitstärkste Kraft hinter der FIS hervorgegangen.

Pessimistisch äußerte sich der Präsident der algerischen Menschenrechtsliga, Abdennour Ali-Yahia. Er schätzt die derzeitige Lage in Algerien als „explosiv“ ein und erwartet gewalttätige Zusammenstöße. Ali-Yahia, ein erklärter Befürworter der FIS, sagte am Dienstag in einem Interview, Algerien nehme Kurs auf ein „Sturmtief“. Mit der Absage des zweiten Durchgangs der Parlamentswahlen durch den vom Militär beherrschten Sicherheitsrat hätten die Streitkräfte wie schon bei ihren Interventionen im Oktober 1988 und im August letzten Jahres die Grundlagen für Auseinandersetzungen geschaffen. „Die Armee hat die Situation nur noch weiter verschärft, und wir rechnen nun mit Festnahmen und sogar der Auflösung der FIS, falls die für die nächste Tage zu erwartende Gewalt noch weiter um sich greift.“

Im Konzert der internationalen Reaktionen auf den abrupten Abbruch des Demokratieprozesses in Algerien meldeten sich Montag auch diejenigen zu Wort, die in anderen, ähnlichen Fällen neuerdings besonders gern zu harschen Worten und Sanktionsdrohungen greifen: die USA. Windelweich erklärte Margaret Tutwiler, die Sprecherin des Außenminsteriums, die USA beobachteten die Unterbrechung des demokratischen Prozesses in Algerien mit Sorge. Washington hoffe, daß dieser Weg so schnell wie möglich weiter beschritten werde. Tutwiler fügte hinzu, ihres Wissens werde das Vorgehen des algerischen Sicherheitsrates von der Verfassung gedeckt.

In der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich fielen mittlerweile nach den ersten zurückhaltenden Worten auch deutlichere Aussagen. Der frühere französische Staatspräsident Valery Giscard d'Estaing bezeichnete die Unterbrechung der Wahlen in Algerien als „antidemokratisch“ und „gefährlich“. „Es ist ein Fehler, eine laufende Wahl abzubrechen, nur weil die Ergebnisse einem nicht gefallen“, sagte Giscard am Montag abend im französischen Fernsehen. Der Parteichef der Neogaullisten und Ex-Premierminister Jacques Chirac sprach indessen die Hoffnung aus, das „Ausnahmeregime“ in Algier möge „schnellstens wirtschaftliche, politische und soziale Reformen unternehmen“.

Reaktionen in der arabischen Welt

In der arabisch-islamischen Welt fielen die ersten Stellungnahmen unterschiedlich aus. Nach dem Motto je weiter weg, desto kritischer, sprachen die libanesische und iranische Presse von einem Staatsstreich. Anders die Tonlage in Nordafrika: Mit Ausnahme Libyens ist hier verdeckte oder offene Erleichterung vorherrschend. In der tunesischen Presse wurde aus diesen Gefühlen kein Hehl gemacht. „Ein Führungswechsel in letzter Minute bei einem Zug auf dem Weg in den Abgrund“, hieß es beispielsweise in der Tageszeitung 'Assabah‘. Die Regierung in Tunis hat mit den Islamisten so ihre eigenen Probleme. Meldungen über angebliche Verschwörungen und anschließende Festnahmen gibt es alle paar Wochen. Ähnliches gilt für Marokko, wo im Januar 1990 eine islamische Bewegung verboten wurde. In Ägypten, das den Wahlsieg der FIS im Dezember als Triumph für den Islam begrüßt hatte, beherrscht vor allem die Sorge um die Stabilität Algeriens, die Ablehnung von Gewalt und die Hoffnung auf eine friedliche Aussöhnung der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte erste offizielle Reaktionen und Kommentare in den Medien. Anders der geistige Führer der verbotenen, aber geduldeten Moslembrüder, Mohammed Hamed Abul-Nasr, in einem Brief an die FIS: „Ich bete zu Gott für euren vollständigen Sieg in der Endphase, so daß alle Moslems geeint sein werden, und daß es keinerlei Schwächen gibt, die der Satan ausnutzen kann.“ bs