Versteckt Irak Atombombe?

Atomwaffenprogramm umfassender als bislang bekannt/ Tatkräftige bundesdeutsche Hilfe/ Firmennamen nicht bekannt/ Neue Erkenntnisse der UN-Inspektoren/ Bonn übermittelte Unterlagen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Dank kräftiger Hilfe aus der Bundesrepublik Deutschland war das irakische Atomwaffenprogramm bis zu Beginn des Golfkrieges morgen vor einem Jahr sehr viel weiter fortgeschritten als bisher offiziell bekannt war. Möglicherweise hat Irak sogar bereits eine Atombombe bauen und bis heute versteckt halten können. Dies ergibt sich aus jüngsten Angaben von Mitgliedern der UNO-Kommission zur Überwachung und Zerstörung irakischer Massenvernichtungsmittel. Ein achtköpfiges Inspektionsteam der UNO zeigte sich nach Rückkehr aus Bagdad Anfang dieser Woche erstaunt über das Ausmaß des irakischen Atomwaffenprogramms. Ein Inspektionsteam der Wiener „Internationalen Atomenergieorganistion“ (IAEO) gelangte zu ähnlichen Erkenntnissen.

Der der UNO-Kommission angehörende bundesdeutsche Atomphysiker Dorn teilte am Montag mit, Irak habe aus der Bundesrepublik Know- how, Teile und Anlagen zur umfangreichen Produktion von Gaszentrifugen erhalten. Mit dieser Technik kann Uran effektiver auf ein atomwaffenfähiges Niveau angereichert werden als mit dem ebenfalls gebräuchlichen elektromagnetischen Verfahren. Irak hatte den Bezug der Anlagen und des Know-hows aus der BRD gegenüber dem UNO-Inspektorenteam zugegeben. Die Inspektoren hatten die Führung in Bagdad zuvor mit entsprechenden Unterlagen konfrontiert, die die Bonner Bundesregierung der UNO letzte Woche übermittelt hatte. Der Leiter des IEAO-Inspektionsteams, Ziffereo, erklärte in einem CNN-Interview, die irakische Führung habe angesichts der Unterlagen aus Bonn ein „umfangreiches Atomwaffenprogramm zugegeben“. Zu den in Bagdad vorgelegten Unterlagen gehört eine Liste bundesdeutscher Firmen, gegen die derzeit wegen der illegalen Lieferungen ermittelt wird. Hinweise und Medienberichte über entsprechende Lieferungen aus der Bundesrepublik hatte es bereits in den Jahren vor dem Golfkrieg immer wieder gegeben. Sie wurden jedoch von den in diesem Zusammenhang genannten Firmen sämtlich bestritten. Die Bundesregierung war diesen Hinweisen lange Zeit entweder überhaupt nicht nachgegangen oder hatte nichts zu ihrer Unterbindung unternommen. Die dem UNO-Sicherheitsrat seit Ende des Golfkrieges aus Bonn und von den Regierungen anderer Staaten übermittelten Informationen und Erkenntnisse werden bei der UNO weiterhin vertraulich behandelt. Weder Dorn noch andere Mitglieder der UNO-Kommission äußerten sich dazu, welche bundesdeutschen Firmen an den jetzt offiziell bestätigten Zulieferungen zum irakischen Atomwaffenprogramm beteiligt waren. Aus Kreisen der Kommission hieß es lediglich, die Lieferungen seien ab 1989 erfolgt.

Dorn erklärte, es gebe Hinweise darauf, daß Irak dank der Hilfe aus Deutschland bis zum Beginn des Golfkrieges fast 10.000 Zentrifugen produzierte. Auf diese Größenordnung deute der Umfang der Lieferung aus der Bundesrepublik hin. Die UNO-Inspektoren erhielten bisher keine klaren Informationen, wie viele Zentrifugen in Betrieb genommen wurden. Die Auskunft der Bagdader Führung, wonach im Golfkrieg sowie im Zuge des Programms zur vollständigen Vernichtung der irakischen Massenvernichtungsmittel alle Zentrifungen zerstört worden seien, konnten die Inspektoren zunächst nicht verifizieren.

Mit annähernd 10.000 betriebsbereiten Zentrifugen hätte Irak nach Angaben von Atomphysiker Dorn über das weltweit umfassendste Programm zur Urananreicherung mit dem Zentrifugenverfahren verfügt. Bei einer Anordnung mehrerer Zentrifugen zu sogenannten Kaskaden wäre Bagdad laut Dorn in der Lage gewesen, jährlich ausreichend Uran für die Produktion von vier Atombomben anzureichern. Nach Informationen aus der Kommission habe Irak versucht, eine Atombombe zu bauen, ähnlich der, die die USA im August 1945 auf das japanische Nagasaki abgeworfen haben. Es wird nicht ausgeschlossen, daß Bagdad bereits eine solche Bombe vollständig produzieren konnte. Möglicherweise werde die Bombe bis heute versteckt gehalten.