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Dresdner Kabinettsstück mit offenem Ausgang

Sachsens Finanzminister fordert weitere 7.000 Entlassungen an Schulen/ Opposition befürchtet „Verdummung“, kündigt „massiven Widerstand“ an und kritisiert „grobe Fahrlässigkeit“ des Kultusministeriums/ SPD ließ Rechtsgutachten erstellen  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Kaum hatte Antje Rush (Bündnis90/ Grüne) vom „sorgfältig inszenierten Schauspiel der Staatsregierung“ gesprochen, als auch schon der Vorhang für den Part der Kultusministerin fiel. Im Entwurf des 92er Haushaltes hatte Finanzminister Georg Milbradt (CDU) die Entlassung von weiteren 7.000 LehrerInnen gefordert. 4.800 mußten schon vor Weihnachten den Schuldienst quittieren. Damit schaffte das Kultusministerium von Stefanie Rehm (CDU) zwar nicht das für 1991 geplante Soll von 10.000 Entlassungen. Doch schon jetzt herrscht Chaos an vielen sächsischen Schulen. Stunden fallen aus und manche Unterrichtsfächer können gar nicht mehr gegeben werden.

So mußte das Kultusministerium in einem Schreiben an die Oberschulämter „Maßnahmen zur Sicherung der Unterrichtsversorgung ab 1.1.92“ anordnen. Lehrermangel herrsche in den Fächern Musik, Englisch, Französisch und Latein. Nach der Rechnung des Finanzministeriums würde die Zahl der PädagogInnen im Freistaat von einst 52.000 in diesem Jahr auf 35.000 sinken.

Es war nun an der Kultusministerin, helle Empörung zu zeigen und als unterste Grenze die Zahl 42.000 zu nennen. Auf dem Zwickauer Lehrertag beteuerte sie am Wochenende, daß die Zahl 35.000 noch nicht beschlossene Sache sei. Zudem kündigte sie an, daß „ab sofort“ mit der Verbeamtung der sächsischen Lehrer begonnen werde.

Nach Antje Rushs Voraussage wird das letzte Wort im Kabinettsszenarium der „treusorgende Landesvater“ führen, dessen Rolle es sei, „nach langen Verhandlungen und persönlicher Intervention“ die „unumgängliche Entlassungszahl auf vielleicht 3.000 oder 4.000 zu begrenzen“. Nach Ansicht von Bündnis 90/Grüne führt der massive Stellenabbau „gewollt oder ungewollt zur Verdummung der Sachsen“. „Pädagogischer Traum“ der Lehrerin Antje Rush wären 47.000 Stellen. Als „Schmerzgrenze“ gibt sie 42.000 an, was dem Lehrer-Schüler- Verhältnis in Baden-Württemberg entspräche. SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel appellierte „an die vernünftigen Teile der CDU, sich das noch einmal zu überlegen“.

Offiziell läuft das Verfahren der Stellenkürzungen unter dem Begriff „demokratische Erneuerung der Schulen“. Entlassen werden sollen Stasi-LehrerInnen, PädagogInnen für „nicht mehr benötigte Fächer“ und „fachlich Ungeeignete“.

Gegen die Entlassung von Stasi- ZuträgerInnen und politischen Hardlinern hat auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nichts einzuwenden. Doch deren Landesvorsitzender Matthias Höhn klagt Rechtsstaatlichkeit ein. Für die Entlassungen würde weder ein Gesetz noch eine Verordnung, nur ein Kabinettsbeschluß vorliegen. Die Folge sei, daß die Oberschulämter das Verfahren unterschiedlich interpretierten. Daß die Beschuldigten bei der Anhörung im Schulamt ihre Unschuld beweisen müßten, sei ein Bruch deutschen Rechts. Schließlich würde gegenüber der Öffentlichkeit nicht immer sauber zwischen den Entlassungsgründen unterschieden, so daß sich alle Betroffenen in die Stasi-Ecke gestellt fänden.

Die SPD ließ sich vom Hagener Rechtsexperten Ulrich Battis ein Gutachten über die Entlassungspraxis anfertigen. Nachdem eine parlamentarische Initiative der SPD- Fraktion an der CDU-Mehrheit gescheitert war, will die Fraktion nun auf der Grundlage dieses Gutachtens konkrete Regelungen durchsetzen.

Noch im November gab Ministerin Rehm auf eine dringliche Anfrage der FDP-Fraktion an, daß die Entlassungen nicht von der Staatskasse diktiert würden. Zur gleichen Zeit begründete Staatssekretär Husemann den Abbau von 10.000 Stellen mit der „gegenwärtigen Haushaltslage“ und der „bei uns vorhandenen Schüler-Lehrer-Relation“ von 1 zu 13. Der Bundesdurchschnitt liege bei 1 zu 16. Erst als Ministerin Rehm vor den vom Kabinettskollegen Milbradt angekündigten Entlassungen warnte, besann sie sich auf eine Forderung, die von der Opposition seit der Verabschiedung des Schulgesetzes erhoben wird: Erst sollte ein Schulbedarfsplan erarbeitet und dann über die LehrerInnenstellen beraten werden.

Auch das sächsische Modell der „Mittelschule“ steht wieder im Feuer der Kritik. Sachsen hatte damit ein duales Schulsystem schaffen wollen. Doch als sich jüngst die CDU-Fraktion zu ihrer schulpolitischen Beratung traf, müsse es nach Ansicht des SPD-Fraktionssprechers Gunther Hatzsch „einigen erzkonservativen Schulpolitikern“ vorgekommen sein, „als fielen Ostern und Weihnachten auf einen Tag“. Sachsen bekomme die Hauptschule. Unter dem Dach der Mittelschule werden ab dem neuen Schuljahr homogene Hauptschulklassen mit gesonderten Lehrplänen geführt.

Bündnis90/Grüne hatten noch vor dem CDU-Vorstoß zum dreigliedrigen Schulsystem eine Broschüre verfaßt, in der sie den sächsischen Schulen „Spielraum und lobenswerte Ansätze des Mittelschulmodells“ darlegten. Antje Rush kritisierte damals das Haus Rehm wegen „grober Fahrlässigkeit“, weil dort weder konzeptionelle noch detaillierte Regelungen für die Mittelschulen entwickelt worden waren.

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