: Blasphemie ist wichtig
„London Kills Me“ ist der erste Film, in dem Hanif Kureishi selbst Regie geführt hat/ Ein Interview mit dem Autor von „Der Buddha der Vorstadt“ und „Mein wunderbarer Waschsalon“ ■ Von Bernhard Robben
Hanif Kureishi schrieb die Drehbücher für Mein wunderbarer Waschsalon und Sammy und Rosie tun es. Damit wurde er bekannt. Seine Mutter ist Engländerin, sein Vater Pakistani. In seiner Kindheit, gestand er einmal, verging kein Tag, an dem er nicht als Kanake beschimpft wurde. Er begann, für das Theater zu schreiben, schrieb Kurzgeschichten und einen Roman, den Buddha der Vorstadt, der seit letztem Jahr auch auf deutsch vorliegt. In all seinen Arbeiten geht es Kureishi um den alltäglichen Rassismus, um die Spannungen, Absurditäten und die bitterböse Komik, die sich beim Aufprall verschiedener Kulturen zeigen. Sein neuester Film, bei dem er zum ersten Mal auch selbst Regie führte, scheint auf den ersten Blick den bisherigen Themenkreis zu verlassen.London Kills Me erzählt die Geschichte von Clint Muffdiver und Sylvie, und davon, wie Clint mit dem Leben des kleinen Drogendealers aufhören und den „ordentlichen“ Beruf eines Kellners ergreifen will. Alles, was er dazu benötigt, ist ein Paar vorzeigbarer Schuhe. Doch gerade mit den einfachen Dingen des Lebens hat es so seine Bewandtnis, wenn man auf der Portobello Road zu Haus ist. Und so entspinnt sich die alte Mär von der Suche nach dem rechten Schuh. Clint bekommt, was er sich wünscht, soviel sei hier verraten. In neuen Schuhen geht er den ersten Schritt heraus aus dem vertrauten Kureishi-Terrain besetzter Häuser, acid-house-parties, trostloser Straßenecken und Brombley-Vergangenheiten und serviert liebdienernd der Notting-Hill- Schickeria ihren Kaffee. Und so heißt es zum Schluß nicht anders als früher: Ruggedigu, Blut ist im Schuh.
taz: Bislang stand für Sie die Auseinandersetzung mit dem Rassismus im Vordergund. In „London Kills Me“ ist davon jedoch nicht allzuviel zu spüren.
Hanif Kureishi: Sagen wir, die Protagonisten des Films sind keine Asiaten. Sicher, selbst dann, wenn die handelnden Personen in einigen meiner Theaterstücke Weiße sind, dreht es sich auf die eine oder andere Weise doch um die „National Front“, um Rassismus oder Einwanderungsprobleme. Vielleicht lag es daran, daß ich gerade den Buddha der Vorstadt beendet hatte, mich auf den Straßen herumtrieb und diese Kids traf, Kids, die mit Drogen dealten. Außerdem wollte ich einmal etwas anderes als die Welt des Buddhas, der Immigration, der Rassenprobleme. Ich wollte über eine Welt schreiben, die mit diesem Thema unmittelbar nichts zu tun hat — womit ich nicht sagen will, daß ich mich nicht weiterhin dafür interessiere, oder daß ich in Zukunft nicht wieder darüber schreiben werde. Doch ich wollte einfach mal etwas anderes machen, eine einfache Geschichte schreiben, eine Geschichte über einen Jungen, der nach einem Paar Schuhe sucht, eine Geschichte über das heutige London, das Leben auf der Straße, eine leichte, unbeschwerte Geschichte.
Der Film spielt in der Drogenszene. Wieso kannten Sie sich in diesem Milieu aus?
Nun, ich bin in den sechziger und siebziger Jahren aufgewachsen. Ich bin mit Popmusik groß geworden, mit ihren Moden, ihrer Sprache, den Drogen, das ist mein background. Ich war nicht irgendein pakistanischer Junge, der zu Hause hockte, abgeschnitten von seiner Kultur, der britischen Kultur, der Jugendkultur der Sechziger, der Beatles und Who, Kings und Jimi Hendrix. Nicht die Literatur, nicht Goethe, Beethoven oder Vaugham Williams haben mich zuerst geprägt, nein, es waren die Beatles.
Die meisten Filme über Drogen, besonders die amerikanischen Filme, zeigen die großen Gangster. So wie in Good Fellas. Da sieht man die „big dealer“ mit ihren Maschinenpistolen, ihren Yachten. Aber ich wollte über die Jungs auf der Straße schreiben. Deren Leben hab' ich immer gekannt, hab' es in gewisser Weise selbst gelebt. Das war ein Thema, das mich schon lange interessiert hat.
Der Film spielt in den achtziger Jahren.
Und das mit Absicht. Genauer gesagt spielt er am Ende der achtziger Jahre, denn das Tun der Kids parodiert die Unternehmerkultur der Thatcher-Ära. Wenn Muffdiver zum Beispiel sagt: „Dies ist eine Vorstandssitzung. Es geht um Angebot und Nachfrage, um Business. Dial- a-spliff, call-a-snort.“ Das ist ein Spiegelbild, ein spöttisches Zerrbild jener Aufforderung Thatchers, Geschäftsleute zu werden und die britische Ökonomie wiederzubeleben — nur sind diese Kids eben Drogenhändler.
Sie haben sich auch früher schon Ärger mit Ihrem Verständnis von Spott und Parodie eingehandelt. Gerade von den Asiaten Englands wurde Ihnen empört vorgeworfen, daß Sie sich im „Buddha“ auf Kosten der Immigration lustig machen.
Ja. Doch daran kann ich nichts ändern. Ich fände es ungehörig und herablassend, wollte ich meinen asiatischen Figuren an Satire, Spott und Parodie ersparen, was ich meinen weißen Charakteren zumute. Nur weil meine Figuren Asiaten sind, heißt es nicht, daß ich sie als Autor anders behandeln sollte als Ian McEwan, William Boyd oder Martin Amis ihre Figuren behandeln, wenn sie sie der Ironie oder Parodie aussetzen. Nur weil sie Asiaten sind, muß man sie noch lange nicht patronisieren, sie von dem ausschließen, was ein Schriftsteller nun einmal mit seinen Figuren macht.
Haben Sie keine Angst vor dem Zorn der „black community“? Ihr Landsmann Salman Rushdie hat auch keine besonders angenehmen Erfahrungen mit Parodie und Ironie gemacht.
Das ist etwas anderes. Ich habe nie über den Koran geschrieben. Ich würde es getan haben, hätte ich mehr über den Koran gewußt. Salman Rushdie schrieb über etwas, das unmittelbar ins Herz moslemischer Sensibilität traf und die Moslems entsetzlich ängstigt. Ich bin allerdings ein großer Befürworter der Blasphemie, selbst wenn Salman behauptet, sein Buch sei nicht blasphemisch. Blasphemie ist wichtig. Schriftsteller sind nun einmal Dissidenten. Wir hinterfragen die orthodoxe Moral, Politik, Religion. Wir bezweifeln die allgemein akzeptierten Beschreibungen der Gesellschaft, und genau das bewirkt Blasphemie. Außerdem ist Religion natürlich sowieso lächerlich, und es ist ganz richtig, daß sie als närrisch verhöhnt und parodiert wird, das gehört zu unserer Arbeit. Schriftsteller und Künstler sind dafür schon immer angegriffen worden, denken Sie nur an Flaubert, an Baudelaire, Zola oder Oscar Wilde. Das ist der Preis, den wir zu zahlen haben. Es ist nicht einfach, aber wir haben keine Wahl.
Ihr Film scheint mir nicht mehr von jener anklagenden Aggressivität getragen zu sein, die Ihre früheren Filme noch auszeichnete. Wo ist Ihre Wut geblieben? Haben Sie sich mit dem Leben in England versöhnt?
Vielleicht ist Stephen Frears als Regisseur härter als ich. Der Buddha und London Kills Me sind nicht so hart wie Mein wunderbarer Waschsalon und Sammy und Rosie tun es. Vielleicht berühren mich die Probleme des Rassismus tiefer als ein Film wie London Kills Me. Trotzdem klagt dieser Film an, er klagt den reichen Westen an, London, England, diese Wohlstandsgesellschaft, diese Kultur, die so groß, zivilisiert, reif, liberal und demokratisch ist, daß Kids ohne Schuhe herumlaufen, keine Arbeit haben, wohnungslos und ohne Ausbildung sind. Die Gesellschaft hat beschlossen, diese Menschen nicht anzuerkennen. Sie wurden an den Rand gedrängt, sind „underclass“. Mir scheint es da doch wichtig, daß man nicht noch einen Film wie Zimmer mit Aussicht, Reise nach Indien oder Hope and Glory dreht, sondern einen Film, der sagt: Seht euch eure Gesellschaft an, seht her, was passiert, seht, was die Kids machen. Da steckt meine Wut!
Im „Buddha“, ebenso wie in „London Kills me“, scheint die Musik die Geschichte wie eine zweite Erzählstimme zu durchziehen, als wolle sie die Geschichte auf ihre eigene Weise strukturieren.
Ich bin nicht besonders gut im Aufbauen einer Erzählstruktur, sie ist immer der schwächste Punkt in meiner Arbeit. Irgendwie folgt die eine Szene nie dramatisch aus der vorhergehenden. Wenn ich doch nur diesen verdammten roten Faden hinkriegen könnte, der das ganze Ding zusammenhält... Mit London Kills Me wollte ich eine „good fucking story“ versuchen. Eine Art Schreibübung: Junge sucht ein Paar Schuhe. Bekommt er die Schuhe und den Job, oder bekommt er sie nicht, mit dieser Frage wollte ich die Story zusammenhalten. Doch eigentlich geht das niemanden etwas an...
Musik ist natürlich sehr wichtig, sie hat mich geprägt, ihre ganze Art, die Welt der Sechziger zu sehen: Politik, Drogen, Moden, Sex, jene Haltung, die Ginsberg, Lennon, Leary und all die anderen verkörperten.
War Ihnen denn die Musik wichtiger als etwa James Baldwin oder die Black Panther?
Das gehörte zusammen. Baldwin war der einzige Schriftsteller, an dem ich mich orientieren konnte. In England gab es einfach keine Autoren, die sich mit Einwanderungsproblemen, mit Rassismus auseinandersetzten. Von E.M. Forster einmal abgesehen. A Passage to India ist ein sehr gutes Buch. Doch sonst gab es niemanden, Graham Greene oder V.S. Naipaul konnten mir keine Vorbilder sein, sie waren Gentlemen. Sie gehörten einer anderen Klasse an, einer anderen Zeit.
Sie scheinen sich immer wieder für Menschen zu interessieren, die Masken tragen, Rollen spielen. Im „Buddha“ wird aus dem Helden ein Schauspieler, sein Alter Ego heißt gleich „Changez“. In einem kleinen Essay mit dem Titel: „The Rainbow Sign“ erzählen Sie von einem schwarzen Jungen, der hörte, daß verbrühte Haut sich weiß färbt und der deshalb in einen Topf mit kochendem Wasser sprang. Liegt in diesem Kindheitswunsch — so zu sein wie die anderen — einer der Gründe für Ihr Interesse an Masken, am Rollenspiel?
Und in London Kills Me verkleiden sie sich, ziehen sich an wie Elvis oder wie Mafia-Bosse. Sie lieben die Verwandlung, der weiße Rastafari, die Tunte — ich glaub, all diese Leute faszinieren mich, weil man sich sein Leben neu schaffen muß, wenn man in ein fremdes Land zieht. Man formt sich seine Identität nach seinem Herkunftsland so wie man es im neuen Land erinnert. Die Mode, die Sprache, das Vokabular, Verhaltensweisen, all das ändert sich, wenn man, wie mein Vater und seine Generation, in ein neues Land kommt.
Dann mein Leben in den Vororten, ein pakistanischer Junge, der
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die Beatles hört, der Fußballspieler werden will, der nach einem Weg in die Gesellschaft sucht, der sich verlieren will, um wie all die anderen zu sein, der der Vorstadt entkommen und in die City gelangen will, der die Aussprache, den Akzent ablegen will.
All diese „Masken“ liegen mir deshalb am Herzen, Fragen der Simulation und Integration beschäftigen mich zutiefst, die Suche nach einer Identität, das Fälschen einer Identität.
Sind Sie deshalb Schriftsteller geworden? Um sich immer wieder neue Rollen auszudenken, in andere Masken schlüpfen zu können?
Es gefällt mir, Figuren zu erfinden. Es macht mir Spaß, Menschen zu schaffen. Zu Haus habe ich ein Buch voller Figuren, die ich mir für künftige Bücher und Filme aufspare. Ich weiß nicht, in welchem Film, welchem Buch sie auftreten werden. Es ist, als würde ich jemanden anziehen, diesen Hut, jenes Hemd, diese Kleider wird er tragen, und eines Tages betritt er dann die Bühne.
Ihre Figuren scheinen ein eigenes Leben zu führen. Sie tauchen immer wieder auf: Omar aus dem „Wunderbaren Waschsalon“ ist auch in „London Kills Me“ zu sehen, Doctor Buba, Omars Vater, ist auch wieder da. Man könnte glauben, alle ihre Texte seien im Grunde nur eine einzige Geschichte, „London Kills Me“ war ursprünglich sogar der Arbeitstitel für den „Buddha der Vorstadt“.
Durch mein nächstes Buch — sollte ich jemals Zeit finden, es zu schreiben — würde ich gerne andere Figuren spazieren lassen, Figuren aus früheren Theaterstücken oder Filmen. Die würden im Hintergrund auftauchen, sich auf der Straße begegnen. Die Idee gefällt mir, macht mir Spaß.
Die Idee, eine fiktive Welt zu schaffen...
Ja, eine Welt, die etwas von dem Vergnügen durchscheinen läßt, das ich als Teenager empfand, als ich zu Haus in meinem Schlafzimmer saß und zu schreiben begann. Als ich eine Welt schuf, die ich beherrschen konnte, in der ich Gott war. Ich konnte schreiben, was ich wollte.
Sind das nicht die Phantasien eines Opfers?
Natürlich schaffen wir uns in unseren Phantasien eine Welt, die uns gefällt. Eine Welt, die entstand, weil man Opfer ist, weil man „nein“ sagt und die Beschreibung der anderen nicht länger akzeptiert. Nein, sagt man, ich will kein Kanake, kein Außenseiter sein.
Hier habe ich das Kommando. Ich entscheide, wie diese Welt aussehen wird, und ich selbst und meine Interessen stehen im Mittelpunkt dieser Welt. Ich will nicht an den Rand gedrängt werden, ich sehe die Welt aus meiner Perspektive.
Und London Kills Me macht nichts anderes. Die Menschen in diesem Film stehen nicht am Rande, sie sind ins Zentrum gerückt. So kämpft man um Beschreibungen, denn Beschreibungen sind ebenso eine Form der Macht wie eine Form der Phantasie.
Hanif Kureishi: London Kills Me“. Mit Justin Chadwick, Steven Mackintosh, Emer McCourt u.a.. Großbritannien 1991, 106 Min. Der Film startet heute in Berlin und am nächsten Donnerstag im Rest der Republik.
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