: Zeit des Redens oder Zeit des Schweigens?
In Zittau sind die Stasi-Enthüllungen des sächsischen Innenministers und einstigen Zittauer Landrats Heinz Eggert keineswegs Stadtgespräch/ Nur wenige Ex-DDR-Oppositionelle wollen die Debatte um das Stasi-Spitzelunwesen führen ■ Aus Zittau B. Markmeyer
Thomas Pilz, selbst Pfarrerssohn, war in der siebten Klasse, als ihn eine Predigt des Oybiner Pfarrers Heinz Eggert zum ersten Mal aufwühlte. Von der Kanzel herab hatte Eggert gegen staatlich gelenkte Verleumdungen gestritten, die Oskar Brüsewitz zum „abnormalen und krankhaft veranlagten“ Affekttäter entstellen sollten, jenen Pastor, der sich im August 1976 aus Verzweiflung und Protest gegen das DDR-Regime in Zeitz selbst verbrannt hatte. Aus dem Schuljungen Pilz, der montags seine Lehrer befragte zu dem, was er sonntags in der Kirche gehört hatte, wurde ein unerschrockener DDR- Oppositioneller, neben Eggert einer der profiliertesten im Kreis Zittau.
Nun, da der aufmüpfige Pfarrer von einst und heutige sächsische Innenminister Heinz Eggert jene Verleumdungen und Vernichtungsstrategien öffentlich macht, mit denen der DDR-Apparat ihn selbst „zersetzen“ wollte, rechnet Thomas Pilz „mit einer harten Zeit für Zittau“. 45 Stasi-Spitzel waren allein auf Eggert angesetzt, wohl 15 davon Freunde und Bekannte. Der Innenminister hat angekündigt, Namen zu nennen. Das müßte gerade hier, meint Pilz, in Eggerts Ex-Gemeinde im Kurort Oybin und im benachbarten Zittau, wo der vielfach Bespitzelte gleichzeitig Studentenpfarrer war, für Aufregung sorgen. Thomas Pilz jedenfalls, in der Wendezeit Galionsfigur des Neuen Forums, heute im Kreistag und beim Bündnis 90 im Landes- und Bundesvorstand, ist hellwach.
Im „Stern“, Zittaus einziger Alternativkneipe, in der Heinz Eggert sich noch als Landrat gelegentlich sehen ließ, entwickelt der 26jährige Ideen, wie „die Auseinandersetzung produktiv werden könnte“. Pilz will Offenheit, sein erklärtes Ziel ist, daß mit der Enttarnung der Stasi-Spitzel auch „das allgemeine Mißtrauen verschwindet“; er, der die Sichtung seiner eigenen Akte noch vor sich hat, will das Gespräch mit den Opfern und den TäterInnen in seiner Stadt.
Daß Heinz Eggert drei Tage nach seinem Fernsehauftritt in die psychiatrische Klinik Großschweidnitz fuhr, um genau dieses Gespräch zu beginnen, rechnet Pilz vom Bündnis 90 dem CDU-Minister hoch an. Doch der „Stern“ im nächtlich düsteren Stadtzentrum, wo Zittaus Alternative sich bei Bier und Soljanka die Köpfe heißredet, ist eine Insel.
Die fünfzigjährigen Arbeitslosen und Frührentner beim Frühschoppen im „Boulevard Imbiss“ an der Bautzner Straße, Zittaus Einkaufsstraße, finden, daß um des Innenministers Schicksal zuviel Wind gemacht wird: „Wenn der Pfarrer in Oybin geblieben wäre, hätte da kein Hahn nach gekräht! Was sie mit dem gemacht haben“, sagt Wilfried Winkler, „ist zwar nicht das Gelbe vom Ei.“ Der Mann in Jeans und Jogging- Jacke leert sein Bier, als wolle er das Thema beenden: „Aber das haben sie mit vielen gemacht.“
Daß einer der vielen nun dieser Eggert aus ihrer Stadt ist, von dem „jeder wußte, daß der gegen den Staat war“, daß sie die Spitzel kennen könnten, daß im nahegelegenen Großschweidnitz möglicherweise auch andere Oppositionelle „krankbehandelt“ (Eggert) wurden, das alles regt Winkler und seine Freunde nicht weiter auf. So klingt denn auch die Forderung, „daß die Ärzte dort bestraft werden müssen, eindeutig“, wenig überzeugend.
Und auch die beiden Frauen, die ihre Kinderwagen durch den morgendlichen Braunkohledunst schieben, möchten, obwohl ihnen der Name Eggert nicht erst seit letzter Woche ein Begriff ist, „gar nischt dazu sagen“, denn „wir haben das ja alles nicht gewußt“. Nein, der Fall Eggert ist nicht Stadtgespräch in Zittau. „Die wirtschaftlichen Probleme überwiegen“, sagt der stellvertretende Landrat Dieter Zarth, der 1990 gemeinsam mit Eggert seinen Posten in der Verwaltung antrat. Mindestens 50 Prozent Arbeitslose erwartet die Region an der Grenze zu Polen und der CSFR im östlichsten Zipfel der Bundesrepublik, in die sich kein ernst zu nehmender Investor verirrt und in der die einstmals dominierenden Textil- und die Metallbetriebe zusammengebrochen sind.
Wie die meisten ZittauerInnen hat auch Zarth die Konsequenz begrüßt, mit der Heinz Eggert nach der Wende als Landrat etwa 20 stramme SED-GenossInnen aus den Leitungspositionen der Kreisverwaltung feuerte — was ihm den Spitznamen „Pfarrer Gnadenlos“ einbrachte. Daß Eggerts Stasi-Enthüllungen nun nicht auf eine ähnlich interessierte Zittauer Öffentlichkeit treffen, mag zum Teil wirklich an den sich zuspitzenden Alltagsproblemen liegen.
Eine Erklärung ist das jedoch nicht. Zwar hat die Bespitzelung seines ehemaligen Chefs bei Dieter Zarth „eine Betroffenheit ausgelöst, die ich schon für überwunden gehalten habe“. Doch wenn sich der stellvertretende Landrat in seinem überheizten Büro, vor dessen Fenstern sich eine endlose Blechschlange über den Innenstadtring wälzt, zum Umgang mit den Akten der Gauck-Behörde äußert, klingt es, als spräche er von einer Krankheit: „Damit muß jeder selbst zurechtkommen.“
In Eggerts einst nächster Umgebung, bei den ProtestantInnen im benachbarten Oybin, sind, so die langjährige Kantorin Dorothea Husar, „alle empört“ über die Stasi-Machenschaften. „Das ist klar“, fügt die 51jährige hinzu — und schon ist es nicht mehr so klar. Denn in der 380 Mitglieder starken Gemeinde im Zittauer Gebirge mit ihren 50 Aktiven sei man „nicht so dahinterher“, näheres über die Spitzel zu erfahren. Auch die Kantorin selbst hätte „kein Bedürfnis, mit denen zu reden“. Es gebe eben Leute, „gegen die man schon immer mißtrauisch war“. Insofern habe sich die Atmosphäre in der kleinen Berggemeinde nicht verändert.
Eggert hatte nach der Auflösung der Stasi-Zentrale in Zittau in der Kirche schon einmal Spitzel-Namen bekanntgemacht, und daher weiß Dorothea Husar, daß „die, die ihn ausspioniert haben, nicht die Leute aus unserer Gemeinde gewesen sind“. Demgegenüber hat der einstige Pfarrer nach der Lektüre seiner Akte bei der Gauck-Behörde letzte Woche erklärt, Denunzianten hätten selbst im Oybiner Kirchenvorstand gesessen.
„Und die Leute“, empört sich Eggerts Wende-Mitstreiter Thomas Pilz, „die Briefe schreiben sollten, in denen steht, daß Eggert sich an minderjährigen Jungens vergreift, müssen ja wohl auch Leute aus seiner näheren Umgebung gewesen sein!“
Zu dieser Verleumdungskampagne, deren Vorbereitung Eggert seiner Akte entnehmen konnte, kam es nicht mehr. Thomas Pilz und einige MitstreiterInnen wollen nun mit einer Veranstaltung über den Umgang mit den Stasi-Akten die Debatte in Zittau in Gang bringen. Eggert soll kommen, die Dresdener Beauftragte der Gauck-Behörde und heimische PolitikerInnen.
Die Veranstaltung, von der Pilz optimistisch annimmt, daß er dafür das Zittauer Theater anmieten muß, könnte erste Anhaltspunkte dafür liefern, ob die von ihm selbst in Sachen Stasi-Altlasten prognostizierte „harte Zeit für Zittau“ eine Zeit des Schweigens oder eine Zeit des Redens sein wird.
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