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Die wundervollste Art zu lügen

■ „Der Jungbrunnen“ von Luis Mateo Diez

Gleich vorneweg: Der Jungbrunnen ist ein Buch für junge Leute mit Lust am skurrilen Fabulieren. Mitten im 20. Jahrhundert bricht eine Bruderschaft gelangweilter spanischer Intellektueller auf, um jene sagenhafte Quelle zu finden, deren wundertätiges Wasser ewige Jugend verheißt. Ihr Weg ist von ebenso beschwerlichen wie überraschenden, aber doch bedauerlichen Erfolglosigkeiten begleitet. Schließlich dämmert ihnen die Erkenntnis, daß sie vorsätzlich in die Irre geleitet wurden, und sie sinnen fürchterlich auf Rache...

Ersonnen hat die Geschichte Luis Mateo Diez, eine der außergewöhnlichsten Erscheinungen in der zeitgenössischen Literatur Spaniens. Der 1942 geborene Autor gehört zu jener kleinen „Leoneser Autorenmafia“, für die Erzählen „die wundervollste Art zu lügen“ ist. Der Erfolg dreier Erzählbände und ein weiterer Roman bestätigen ihn darin.

Die Verwechslung von Schein und Sein in diesem modernen Nonsens-Roman erinnert an den klassischen Don Quijote. Viele groteske Bilder könnten allerdings auch den Farcen seines Landsmanns Valle-Inclán entnommen sein; die mitunter absurden Wendungen der in drei Teilen gegliederten Geschichte, der spielerische Umgang mit den Tücken des Objekts, all das ist „echter Diez“ und hat diesen Roman in Spanien zu einem echten Bestseller werden lassen. 1987 wurde er dafür mit dem Nationalpreis für Literatur und dem Nationalen Kritikerpreis ausgezeichnet — und zwar in seltener Übereinstimmung von Lesepublikum und Fachkritik, wie das nur in Spanien üblich ist.

Deutsche Leser erinnert Diez' Roman wieder daran, daß Sprache nicht nur ein Medium platter Mitteilung ist, sondern auch Material, das man lustvoll biegen, geistreich verflechten und aus sich heraus neu erschaffen kann. Und Ulrich Kunzmanns kongeniale Übertragung zeugt davon, daß die deutsche Sprache — ähnlich der spanischen — nicht nur eine poetische, sondern auch eine kunst- und humorvolle Sprache ist. Angesichts der täglichen Flut verbogener Reklamesprache, schwindsüchtig-verlogener Zeitungs- und Politikersprache kein leichtes Unterfangen. Von den ersten Seiten an ist man gepackt, man spürt, hier sind Kunzmann bilderkräftige, phantasieträchtige Formulierungen gelungen. Der Leser wird entführt in den „Tunnel des Archivs, wo man die alltäglichen Ausdünstungen der wurmstichigen bürokratischen Verfahren atmet“; es heißt „Die Nacht ballt sich wie eine Faust“ oder „Der Taumel ersterbender Lichter wuchs und verfestigte in den Räumen des Berges die Einsamkeit.“ — Das Wagnis, einen modernen, durch und durch spanischen Roman deutschsprachigen Lesern in heutiger Zeit nahezubringen, hat der Ostberliner Verlag Volk und Welt unternommen. Vielleicht wird der Jungbrunnen zur Metapher eines neuen Verlagsprogramms. Dem Verlag jedenfalls ist zu wünschen, daß die Freunde moderner, humorvoller Fabulierkunst ihm sein Engagement für dieses wichtige Buch danken. Manfred E. Nöbel

Luis Mateo Diez, Der Jungbrunnen. Roman. Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann. Verlag Volk und Welt, Berlin 1991, 432Seiten, 44DM.

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