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Suche nach „Notar“ bleibt ergebnislos

Keine Entlastung für PDS-Chef Gregor Gysi/ Stasi-Offizier Reuter schweigt weiter  ■ Aus Berlin Matthias Geis

Der Entlastungszeuge für Gregor Gysi kam nicht. Das für gestern angekündigte Treffen zwischen dem früheren Stasi-Offizier Wolfgang Reuter und dem Direktor der Gauck- Behörde, Hans-Jörg Geiger, bei dem der Stasi-Verdacht gegen Gysi aufgeklärt werden sollte, fiel aus. „Ob und wann er kommen wird“, so der Sprecher der Gauck-Behörde, David Gill, „steht nicht fest.“

Der Schaden für Gysi hält sich in Grenzen. Denn mehr als fraglich ist ohnehin, ob der ehemalige Leiter der MfS-Abteilung XX/9, der zu DDR- Zeiten die Zersetzung der Opposition koordinierte, als Entlastungszeuge für den PDS-Chef taugt. Eine interessenlose Mithilfe bei der Aufklärung wird man Reuter nicht ohne weiteres zubilligen können. In den Fällen Böhme und Anderson, die ebenfalls der Abteilung XX/9 zugeordnet waren, sind keine sachdienlichen Hinweise Reuters überliefert.

Mit der angekündigten eidesstattlichen Erklärung einer zentralen Figur des Unterdrückungsapparates allein jedenfalls wäre Gysi kaum geholfen. Denn auch dann bliebe weiter ungeklärt, wer unter dem Decknamen „Notar“ vertrauliche Informationen aus der Anwaltskanzlei Gregor Gysis an die Stasi verraten hat. Die bislang bekanntgewordene Erklärung Reuters, „Notar“ sei nicht der Deckname einer Person, sondern die Bezeichnung für eine Akte, ist kaum hilfreich. Sie läßt beispielsweise offen, wie eine schriftliche Erklärung des Bürgerrechtlers Gerd Poppe, die dieser am 4. Januar 84 Gysi übergab, noch am selben Abend beim MfS landete. Daß der Begriff „Notar“ zur Tarnung einer technischen Überwachung durch das MfS benutzt wurde, scheidet damit aller Wahrscheinlichkeit nach aus — auch wenn es, wie Mitarbeiter versichern, Gysis Angewohnheit ist, alle erdenklichen Schriftstücke laut zu lesen, so daß möglicherweise auch Schriftliches in den Bereich einer Abhöranlage gelangen könnte. Vom gleichen Tag, dem 4. Januar 84, datiert auch der „Vermerk über eine Rücksprache“ zwischen Gysi und Poppe vom 29.12.83, die als Tonbandabschrift eines Berichts von IM „Notar“ gekennzeichnet ist. Basierte der juristisch versiert abgefaßte Bericht auf einem technischen Überwachungsvorgang, so fällt auf, daß dieser erst sechs Tage nach dem Gespräch zwischen Poppe und Gysi ausgewertet wurde — also genau an dem Tag, als IM „Notar“ die Erklärung Poppes — laut Akte — übergab. Plausibler als die Wanzen-Version ist allemal, daß IM „Notar“ anläßlich der Übergabe des Schriftstückes auch gleich seinen Bericht über das sechs Tage vorher geführte Gespräch ablieferte.

Die Indizien sprechen dafür, daß sich hinter dem IM „Notar“ eine Person verbirgt: Gysi, oder eine der vier Personen aus seiner Kanzlei, die zwischen '83 und '88 dort beschäftigt waren. Gysi bestreitet, je für das MfS gearbeitet zu haben. Zumindest aber müßte Gysi inzwischen den IM aus seiner Kanzlei kennen. Die Gauck- Behörde jedenfalls hat alle systematischen Klärungswege ausgeschöpft. Jetzt hilft nur noch ein Zufallsfund — oder Gysis Aussage.

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