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Bundeswehr will in der Heide Honig saugen

Letzlinger Heide soll auch nach Abzug der Roten Armee Militärgelände bleiben/ Anwohner, Parteien und Landtag einig im Widerstand/ Rechtsstreit um Eigentumsrechte angekündigt/ Blauracke und Schwarzstorch sollen geschützt werden  ■ Aus Colbitz Heide Platen

Im Gasthaus „Heidequell“ kuscheln sich die Gäste auf den Eckbänken. Das hausgebraute Colbitzer Pils ist süffig und herb. Dafür, wissen die Einheimischen, braucht es gutes Wasser. Draußen hängt grauer Nebel zwischen den Birken- und Kiefernwäldern nördlich Magdeburgs, in der Heidelandschaft unterhalb der Städte Stendal und Gardelegen in Sachsen-Anhalt. Eiszeitliche Endmoränen haben über einem Tonbecken Kies und feinen Sand aufgeschüttet. Am Rand der Heide steht das Colbitzer Wasserwerk, das mit seinen 61 Tiefbrunnen ganz Magdeburg und über 600.000 Menschen mit Wasser versorgt. Karl-Heinz Wahl, stellvertretender Direktor, ist stolz auf seinen Maschinenraum. Rote und weiße Lämpchen blinken, Monitore stellen die Versorgungslage graphisch dar. In dieser Schaltzentrale, schon vor der Wende musterhaft ausgestattet, werden stündlich 300.000 Liter Wasser gesteuert. Die Qualität des Colbitzer Grundwassers ist — noch—, so Wahl, „ganz hervorragend“. Beim bundesdeutschen Wasserwettbewerb bekam es den zweiten Preis, „gleich nach dem Allgäu“. Wahl zeigt auf die Landkarte, die noch vor zwei Jahren „vertrauliche Dienstsache“ war. Die Wasserschutzgebiete sind in drei Farbstufen markiert. Und mitten hindurch zieht sich schnurgerade eine 36 Kilometer lange Schießbahn. Die Letzlinger Heide ist Militärgelände — und das seit über 60 Jahren. Hier übte schon die Reichswehr für den Zweiten Weltkrieg. Dann übernahmen Volksarmee und Rote Armee das Gelände. Wenn die nun endlich 1994 abzieht, sagen die Bewohner der kleinen Städte und Dörfer, wollen sie ihre Heide wiederhaben und träumen vom sanften Tourismus.

Damit ist der Konflikt angelegt zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und der Bonner Hardthöhe. Das Verteidigungsministerium erhebt Anspruch auf das Gelände, vor allem wegen der Schießbahn. Die Gebiete, auf die das Militär verzichten will, werden ausgerechnet die sein, auf denen die „Altlasten“ der Vorgänger liegen, fürchten Abgeordnete.

Hinter dem Colbitzer Wasserwerk führt ein Sandweg zu einem kleinen Naturschutzgebiet, zum größten Lindenwald Europas. Im Frühsommer kommen die Imker mit ihren Bienenstöcken hierher. Und auch die Rote Armee rückt an. „Der russische Bär“, weiß ein Einheimischer, „hat den Honig geklaut.“

Mitten durch den Wald führt zwischen einem Gewirr von Kiefernschonungen und tiefgefurchten Wegen eine Betonstraße direkt auf den Posten der Roten Armee zu. Im Wachhäuschen hinter dem Schlagbaum frieren zwei junge Männer. Sie reagieren abwehrend auf Besucher, schimpfen und machen die Geste des Schießens. Hier wird tatsächlich manchmal scharf geschossen. Das kann Autofahrer treffen, die eine Abkürzung suchen, oder auch, sagt ein Gerücht, einen Fotografen der Bundeswehr, der im Auftrag seines Arbeitgebers das Terrain sondieren sollte.

Die riesigen Kasernenkomplexe halten nicht nur das kleine, graue Dorf Hillersleben im Klammergriff. Sie stehen auch mitten im Wald in den Heideorten Blanken und Hütten, die von der Bevölkerung schon im Faschismus verlassen werden mußten. Anrainer kennen die Schleichwege in die triste Waldeinsamkeit, in der sich Aggressionen und Unsicherheit stauen. Sie versuchen seit einiger Zeit herauszufinden, wie sehr das Gelände ökologisch belastet ist, und entdecken immer wieder Munition, Sprengsätze und Raketenteile. Auch eine Panzerwaschanlage verseucht den Boden. Vom Wege abzukommen ist nicht ratsam. Der Wald liegt voller Blindgänger, neuer und denen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Bewohner von Dolle allerdings müssen das Kriegsgerät gar nicht erst suchen. Es kommt zu ihnen. Achtzehnmal, berichtet der Bürgermeister, haben von der Schießbahn abgewichene Granaten schon im Ort eingeschlagen. Bei jeder Militärübung klirren die Fensterscheiben, wackeln die Wände.

Die Bundeswehr, die bisher keine Anstalten macht, auf das Gelände, ein militärisches „Filetstück“, zu verzichten, hat einen Kompromiß angeboten: eine Pufferzone rund um das Übungsgebiet. Pfarrer Dieter Kerntopf aus Colbitz betont nachdrücklich, daß die Bürgerinitiativen überhaupt kein Militär mehr haben wollen. Dafür sollen an den Ortsrändern Hotels gebaut werden. „Die Heide“, so Kerntopf, „soll nur zu Fuß, zu Pferd, mit dem Fahrrad besucht werden.“ Die Bürgerinitiativen sind sich, ein Novum, einig mit allen Parteien des Landtages in Magdeburg. Umweltminister Wolfgang Rauls (FDP), darauf ist sein Pressesprecher stolz, radelte gar bei einer Fahrraddemonstration vorneweg. Ministerpräsident Werner Münch (CDU) ist — vorerst — kampfbereit. Die Landesregierung versucht, die unnachgiebige Begehrlichkeit des Verteidigungsministeriums über die Klärung der Eigentumsfrage zu lösen und kündigt einen langen Rechtsstreit an. Die Heide aus preußischem Besitz ist dem Land Sachsen-Anhalt schon 1947 durch den alliierten Kontrollrat zugesprochen worden. Und Enteignungen zwischen 1945 und 1949 sind laut Einigungsvertrag nicht rückgängig zu machen. Die Bundeswehr hält dagegen, daß ihr automatisch alle Einrichtungen von Roter und Volksarmee zustehen.

Daß sich die Bundeswehr als versierter Umweltschützer nach dem Beispiel der Lüneburger Heide empfiehlt, kommentieren PolitikerInnen und NaturschützerInnen mit bissiger Ironie. Sie wissen, was sie zu verlieren haben. Im feinen Sand versickerte Giftstoffe sind, so Wasserwerker Wahl, eine Langzeitbombe: „Die hinterlassen wir unseren Kindern und Kindeskindern.“

Das Umweltministerium hat eine Liste geschützter Pflanzen und Tiere aufgestellt, auf der der seltene Schwarzstorch, Wiedehopf und Baumfalke stehen. Die Blauracke hat hier ihre letzten Nistplätze in Deutschland. Auf den Lichtungen balzen die Birkhähne. Zwischen Birken- und Besenheide ringeln sich Glattnatter und Kreuzotter. Das seltenste Tier der Region lebt allerdings derzeit im Wasserwerk: Theophil, das Krokodil, döst in seinem Betonbecken vor sich hin. Es kam in den 70er Jahren als Geschenk der Wasserwerker im afrikanischen Mali und ist seither mächtig gewachsen.

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