: Die Welt läßt Somalia allein mit dem Krieg
■ Somalias Hauptstadt Mogadischu ist verwüstet: Der monatelange Krieg verfeindeter Armeen hat schon mehr als 20.000 Tote und Verwundete gefordert. Täglich werden es mehr, Hilfe ist kaum möglich...
Die Welt läßt Somalia allein mit dem Krieg Somalias Hauptstadt Mogadischu ist verwüstet: Der monatelange Krieg verfeindeter Armeen hat schon mehr als 20.000 Tote und Verwundete gefordert. Täglich werden es mehr, Hilfe ist kaum möglich. Der Kampf der rivalisierenden Klans um die Vorherrschaft dehnt sich nun auch auf andere Landesteile aus.
AUS MOGADISCHU BETTINA GAUS
Gibt es irgend etwas, woran Menschen sich nicht gewöhnen können? In Somalias Hauptstadt Mogadischu geraten die Gespräche nicht ins Stocken, wenn in der Nähe eine Flugabwehrrakete in ein Haus einschlägt und das Geräusch knatternder Maschinengewehre unablässig aus dem Hintergrund ertönt.
Jeder kann jederzeit und überall getroffen werden. Angst ist ein schnelles, heftiges Gefühl — kein Dauerzustand. Gegenüber einer allzugroßen Bedrohung scheinen wir gleichgültig zu werden. Die Frauen, die am Straßenrand einige Tomaten und Bananen feilbieten, erwecken den Eindruck, blind und taub zu sein: Keinen Blick schenken sie den Autos, die mit schwerbewaffneten Männern voll besetzt hupend die Straße entlangjagen, Gewehre auf die Passanten gerichtet. Nicht ein einziges Mal habe ich in Mogadischu jemanden Deckung suchen sehen. Zuckte ich bei Schüssen zusammen, lachten Umstehende voll gutmütigen Spotts: „Du bist an Geschosse eben nicht gewöhnt wie wir.“
Gewöhnung allein ist kein Schutzpanzer. Ins Benadir-Krankenhaus sind allein in den ersten drei Stunden des Vormittags 37 Patienten mit Schuß- und Brandwunden eingeliefert worden. Betten gibt es längst nicht mehr. Die jüngsten Opfer des Bürgerkrieges liegen auf dem Korridor, stöhnend, schreiend — oder regungslos. Unter ihnen: zwei Tote. Auf dem Boden stehen Blutlachen. Blutbespritzt sind auch die Kittel von Ärzten und Pflegepersonal, viele Instrumente, die Operationstische. „Es gleicht einem Schlachthaus“, sagt Verena Krebs vom Internationalen Roten Kreuz, die für die Verteilung medizinischer Hilfsgüter zuständig ist.
Jeden Tag wird der Nachschub an Medikamenten mit einem kleinen Flugzeug aus Nairobi geliefert. Dutzende von Somalis drängen sich um die Maschine, um beim Entladen zu helfen — sie hoffen, damit ein paar Schillinge verdienen zu können. Schon lange gibt es keine Löhne und Gehälter mehr in Mogadischu. Auch die Mediziner in den Krankenhäusern werden nicht bezahlt.
Seit zwei Monaten sind in Mogadischu aus Sicherheitsgründen keine Nahrungsmittel mehr verteilt worden. „Hier mit Essen umzugehen ist so, als ginge man mit Nitroglyzerin um“, sagt Philippe Anhorn vom Roten Kreuz. Überall in der Stadt wird geraubt und geplündert. Noch immer gelangen auf verschlungenen Wegen Lebensmittel vom Landesinneren in die Hauptstadt. Noch immer verfügen offenbar einige Händler über Vorräte. Die Preise klettern. Reis und Spaghetti kosten heute doppelt soviel wie vor einer Woche. Aber macht das überhaupt einen Unterschied, wenn nur wenige noch über Geld verfügen?
Die Gemüsehändlerinnen am Straßenrand müssen sich keines Kundenandrangs erwehren, und ein Raubzug lohnt sich für Bewaffnete angesichts ihres geringen Angebots kaum. Dabei sterben in diesen Tagen Männer, Frauen und Kinder in Mogadischu an Unterernährung — in aller Öffentlichkeit. „Bei uns im Krankenhaus verhungert gerade ein fünfjähriges Kind in seinem Bett“, erzählt der Orthopäde William Moore, der im Auftrag einer US-Hilfsorganisation in Somalia arbeitet. „Der Junge hat keine Familie, die ihm Essen bringt.“
Das Internationale Rote Kreuz plant jetzt, südlich von Mogadischu in kleinen Hafenstädten Schiffe mit Nahrung zu entladen. Diese Hilfsgüter aber werden die Hauptstadt nicht erreichen: Auch auf dem Land hungern die Menschen, so werden die Lebensmittel nun zunächst dort verteilt. „Insgesamt ist etwa die Hälfte der Bevölkerung Somalias unterernährt“, zitiert Dominik Stillhart vom Roten Kreuz eine Untersuchung der Organisation vom letzten Sommer. „An manchen Orten sind es sogar 90 Prozent der Leute.“ Etwa die Hälfte der rund vier Millionen Somalis sind Flüchtlinge im eigenen Land. Überall auf den Straßen Mogadischus schieben Männer Karren mit Matratzen und Kochtöpfen, schleppen Frauen Bündel mit letzten Habseligkeiten — auf der Suche nach einer Zuflucht. „Bei uns schlafen die Leute in den Schulen, in Büros, einfach überall. Die Stadt ist total überfüllt“, berichtet Tahliil Farrah, Direktor des etwa 300 Kilometer entfernten Krankenhauses von Belet Weyne. Er ist nach Mogadischu gekommen, um wenigstens einige Medikamente für seine Klinik zu besorgen.
Relikt der Normalität inmitten des Chaos: Noch immer fahren Lastwagen als öffentliche Verkehrsmittel in einige Städte. Hochbeladen verlassen sie Mogadischu voller Menschen, die an einen Ort entkommen wollen, der vorübergehend Sicherheit zu bieten scheint. Vorübergehend: Seit vor fast genau einem Jahr Siad Barre aus dem Präsidentenpalast verjagt wurde, ist beinahe das ganze Land Kriegsschauplatz.
Worum nur geht es bei den verwirrenden Kämpfen zwischen einstmals verbündeten Gruppierungen und Klans? „Um Demokratie und nationale Versöhnung“, sagt General Farah Aideed, Vorsitzender der einstigen Rebellenbewegung USC, der zum Klan der Hawiye gehört und vor zwei Monaten die Schlacht in Mogadischu eröffnet hat. Sein Gegner: Interimspräsident Ali Mahdi, ebenfalls Mitglied der USC und Hawiye, wenn auch von einem anderen Unterklan. Nationale Versöhnung und Demokratie sind Werte, die auch er kaum je in einem Interview zu betonen vergaß. Worum also geht es? „Um Demokratie und nationale Versöhnung“, sagt in Kismayo, der wichtigsten Stadt im Süden Somalias, General Said Morgan. Dann fragt er mich begierig: „Was hat denn Aideed geantwortet?“
Somalias Klansystem ist kompliziert. Grob vereinfacht und unvollständig ausgedrückt, beherrschen drei Großklans die verschiedenen Landesteile: Der Norden wird von den Issaac dominiert, die sich im vergangenen Jahr vom Süden abspalteten und die international nicht anerkannte „Republik Somaliland“ ausgerufen haben. Die Mitte Somalias mit der Hauptstadt Mogadischu wird vor allem von den Hawiye bevölkert, und im Süden, wo Kismayo liegt, leben die Darod.
General Said Morgan ist Darod. Jahrelang war er militärischer Oberbefehlshaber seines Schwiegervaters — Siad Barre. Massaker, die Bombardierung somalischer Städte im Kampf gegen Rebellen und die Verminung weiter Landstriche hat er zu verantworten. Von einem besiegten, scheinbar landesweit verhaßten Militär ist er im Laufe des letzten Jahres wieder zu einem Mann geworden, der auch zukünftig in Somalia eine Rolle spielen wird. Das Mißtrauen der Darod gegen die Hawiye hat es ihm ermöglicht, fast alle Darod-Organisationen unter seiner Führung zu vereinen. „Wir sind jetzt alle in der SPM“, sagt der General zufrieden. Die SPM, die Somalische Patriotische Bewegung, war einst eine der mächtigsten Widerstandsbewegungen gegen Siad Barre. Jetzt darf sein Schwiegersohn den ehemaligen Präsidenten schon wieder öffentlich einen „weisen Mann“ nennen, auch wenn er behauptet, dessen Rückkehr an die Macht werde nicht angestrebt. Auch General Morgan aber sitzt nicht fest im Sattel: Ende Dezember kam es in Ismayo zu Gefechten zwischen seinen Anhängern und Kämpfern vom Darod-Clan der Ogadeni unter Führung von General Omar Jees. Die Ogadenis sollen jetzt im Landesinneren eine Offensive vorbereiten. „Es ist nur noch eine Frage von Tagen, nicht einmal von Wochen, bis hier genauso die Hölle losbricht wie in Mogadischu“, sagt die Mitarbeiterin einer der wenigen Hilfsorganisationen vor Ort. Und ein Mann aus Kismayo meint: „Das Gemetzel steht uns noch bevor. Wir haben alle Angst.“
Unterdessen kämpft eine Handvoll Helfer auch hier gegen Hunger, Elend, Wasserknappheit und Krankheit. Jean-Louis Baradat soll im Auftrag von UNICEF die Öffnung von vier Schulen ermöglichen und die medizinische Versorgung von Flüchtlingskindern verbessern. „Die Zahl der Flüchtlinge hat sich allein in dem Camp, wo wir arbeiten, von Dezember bis jetzt verdoppelt“, sagt er. „90 Prozent der Kinder sind unterernährt, jeden Tag sterben ein oder zwei.“ Eine somalische Hilfsorganisation hat sich gebildet — Somali Peace Aid — die ohne Geld mit Freiwilligen versucht, die Not zu lindern. Vor einer der Hütten aus Zweigen und Packpapier steht der zweijährige Ragae, ein schmales, aber gesund wirkendes Kind, das einen Zwieback in sich hineinstopft. „Vor zwei Monaten ist er mit seiner Familie aus Mogadischu gekommen, da war er ein Skelett“, erzählt Baradat.
Wird Ragae das Blutbad überleben, das Kismayo droht? In Mogadischu haben die Kämpfe UN-Schätzungen zufolge bislang mehr als 20.000 Tote und Verletzte gefordert. Verlängert ausländische Hilfe die Qual, statt sie zu lindern? Solange Unterstützung kommt, fühlen sich die Somalis von der Welt nicht gänzlich verlassen. Der Mutter eines hungernden Kindes gibt das die vielleicht letzte Hoffnung — aber ermutigt es nicht auch die Kämpfer? Ohne Hilfe von außen wäre Ragae heute schon tot. Was ist das Leben des einzelnen wert? Die Frage gewinnt in Somalia eine neue Dimension.
Nicht nur der Opfer wegen. Ein Schlüssel für die Analyse des Problems — wenn auch nicht für seine Lösung — ist hier zu finden. Das Ausland versteht vor allem deshalb die Konflikte in Somalia so schwer, weil die Bevölkerung hier ein von den meisten anderen Ländern der Welt gänzlich verschiedenes Politikverständnis hat.
Die Loyalität des einzelnen gilt seinem Unterklan
Die noch immer überwiegend nomadische Gesellschaft kennt als höchste Loyalität des einzelnen die Bindung an seinen Unterklan, danach die an den Großklan und erst ganz zum Schluß die an die Nation — und das, obwohl die Somalis im Gegensatz zu den anderen Staaten Afrikas eine gemeinsame Sprache, Kultur und Religion miteinander verbindet. Die traditionelle Rechtsauffassung bringt das zum Ausdruck: Blutrache für einen Mord darf danach nicht nur am Täter, sondern an jedem Mitglied seiner Familie geübt werden. Die Tat kann so als gesühnt gelten, auch wenn der Mörder selbst straffrei ausgegangen ist. Dieses Prinzip der Kollektivschuld hat politisch weitreichende Folgen: „Wie kann jemand, der Macht politisch mißbraucht hat, zur Rechenschaft gezogen und für „Verbrechen“ gegen das „öffentliche Vertrauen“ bestraft werden, wenn sein Klan bereit ist, ihn bis zum bitteren Ende zu verteidigen?“, schrieb der somalische Professor Said Samatar vergangenes Jahr in einem Menschenrechtsbericht.
Für das isolierte Leben der Nomaden war die Bindung an den Klan zum Überleben notwendig— ein moderner Zentralstaat läßt sich auf der Grundlage dieses Politikverständnisses nicht organisieren.
Es sieht so aus, als seien dem Ausland die Zustände in Somalia allmählich gleichgültig. Den somalischen Klanführern scheint es dagegen mittlerweile egal zu sein, ob ihre Aussagen noch geglaubt werden: „Ich kontrolliere fast die ganze Stadt“, behauptet General Aideed entspannt auf den Polstern am Boden seines Empfangszimmers sitzend. Und die Artilleriegeräusche und Schüsse, die von außen durch die Fenster hereindröhnen? „Das sind nur Leute, die ausprobieren wollen, ob ihre Waffen noch in Ordnung sind und funktionieren.“
Wahr ist: Ali Mahdis Verbündete sind weit in den Norden der Stadt zurückgedrängt worden. Dort allerdings kann er der Unterstützung auch der Zivilbevölkerung gewiß sein, die ebenso wie er zum Abgal-Klan, einem Unterklan der Hawiye, gehört. General Aideeds Gegner hingegen lauern in seinem Teil der Stadt als Heckenschützen hinter jeder Ecke: Nicht mehr zwei, sondern inzwischen mindestens fünf verschiedene Gruppierungen sind am Krieg beteiligt.
Bisher neutrale Klans ergreifen Partei
Klans, die bislang als neutral galten, haben sich in den letzten Tagen auf die eine oder andere Seite geschlagen oder tragen neue Konflikte untereinander aus. Bei Gefechten zwischen zwei als unparteiisch geltenden Gruppen, die bislang gemeinsam den Hafen kontrollierten, sollen vor zwei Tagen 150 Menschen getötet worden sein. Banditen ziehen plündernd durch die Stadt. General Aideed kann offenbar inzwischen seine Leute nicht mehr ernähren. Geschäftsleute auf dem großen Bakara- Markt haben aus Angst vor Raubzügen eine eigene Miliz aufgestellt. Dennoch soll der Versuch unternommen worden sein, den Markt mit Panzern zu plündern.
Krieg bedroht die Menschenleben. Die fürchterliche Dimension des Bürgerkrieges in Somalia besteht darin, daß in dem Kampf heute für viele ihre einzige Chance liegt, zu überleben. Ein Waffenstillstand würde den Hunger nicht beseitigen. Die Zahl derer, die aus Verzweiflung und nicht aus machtpolitischen Gründen rauben und morden, wächst täglich.
Vor knapp zwei Wochen ist die Mission des UN-Gesandten James Jonah gescheitert, der die Chancen für einen Waffenstillstand und nationale Versöhnung ausloten wollte. Er kehrte mit leeren Händen aus Somalia zurück. Aber es sieht ohnehin ganz so aus, als wollten die Vereinten Nationen, europäische Regierungen und die USA sich nicht allzusehr in einem Krieg engagieren, für den ihnen auch keine Lösung einfällt. Niemand könnte garantieren, daß die Entsendung von UN-Friedenstruppen bei gleichzeitiger massiver Nahrungsmittelhilfe Somalia den Frieden bringt. Falls aber niemand jetzt in dem Konflikt erfolgreich initiativ zu werden vermag, dann kann als sicher gelten, daß der Krieg weitergeht— vielleicht noch jahrelang.
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