Giftgrüne Worte auf der Flucht

■ Das Theaterensemble »Lautlinie« gastiert mit seinem vierten Projekt im Künstlerhaus Bethanien

Worte, die man sehr lange anschaut, starren plötzlich leer zurück. Unnachgiebig bedeutungslos. Der Satz, das stellt der Bildhauer und Regisseur Matthias Körner gleich fest, stammt nicht von ihm — aber er paßt zu ihm. Er ist das Motto von »OdeonFragment. Fröhlichkeit durch Öffentlichkeit« nach Botho Strauß.

Im Künstlerhaus Bethanien starren einem diese Worte nicht nur leer entgegen, auf der Bühne sind sie zur giftgrünen Plastik erstarrt. Einzelne Buchstaben — zerhackt, sinnentleert, durchgeschüttelt. Die Buchstaben aus »Fröhlichkeit durch Öffentlichkeit«, ergänzt durch ein »A« und ein »U«, leuchten den Premierengästen auf hohen Bleistelzen als »Kain«, »Duft durch und durch«, »Cicero« oder einfach nur als »öff«, »ch« oder »ich« an. Die Stelzen ragen aus einem Sammelsurium von Klumpfüßen, Plattfüßen, Füßen mit verkrüppelten Zehen und krummen Rücken, die landschaftsartig angeordnet sind.

Die Theatergruppe »Lautlinie« eröffnet mit dieser szenischen Montage ihr viertes Projekt im Künstlerhaus Bethanien. Die Fußmodelle, geschnitzt zwischen 1920 und 1980 von einen orthopädischen Schuhmacher der ehemaligen DDR, sind Metapher für die Krankheit der Gesellschaft, wie sie von Botho Strauß immer wieder beschrieben worden ist. Über dem Arrangement hängt eine nachtblaue Videowand, auf der sich kreisend eine zusammengekauerte, skelettartige Marionette um die eigene Achse in den Vordergrund und wieder nach hinten schraubt. Marionettenhaft in unsichtbaren Seilen hängend, scheint auch die Schauspielerin Amina Gusner in den Lichtkegel gebannt zu sein: die Glieder baumeln, wackeln — sie hat immer alles falsch gemacht.

»Immer alles falsch«, Amina Gusner schüttelt sich vor Grauen. Von »Fröhlichkeit durch Öffentlichkeit« keine Spur. Zunächst jedenfalls. Die »Lautlinie«, geführt von Kontrabaß, Querflöte, Klavier, Schlagzeug und Synthesizer steigert sich, bricht ab und wird dann komisch-clownesk weitergeführt. Charles Chaplin läßt grüßen.

»Ich werde mich entschlossen verirren«, verkündet die Schauspielerin scharf. Genauso entschlossen ist sie glücklich. Natürlich. Aber nach der vierten Frage aus oberer Instanz (»Du, bist du wirklich glücklich, ganz und gar?«) wird ihr Ja brüchig, verzweifelt. Amina Gusner steht allein im Theaterraum. Sie antwortet sich selbst, verblüfft die Zuschauer mit beeindruckendem Rollenwechsel. Aus dem piepsigen Frauchen wird die rebellische Tochter, der arrogante Säufer, der immer weiß, wo es langgeht, schließlich die aggressive Emanze. En passant erklärt Amina Gusner, warum sich Orpheus im Totenreich nach Eurydike umdreht — und flippt aus. Sie hat, das ist ihrer Bühnenpräsenz ganz deutlich anzumerken, in der DDR-Schauspielschule »Ernst Busch« gelernt; ihre Technik setzt sie spielerisch, aber exakt ein — mit überraschender Variationsvielfalt und mit nahtlosem Übergang.

»Nur ein paar Worte sind hier eingedrungen, aber sie wollen mich verlassen«, lamentiert sie in dem Kopfstück« nach Botho Strauß, das angereichert wurde mit Texten von Shakespeare, Aischylos, Strindberg, Heiner Müller, Paul Virilio, Peter Handke und den Beatles. Doch das verkopfte Stück erhält einen Körper, bekommt Fleisch, Fett und Leben. Wird zur schrillen Nummer, die unvermittelt in leise Melancholie, dann wieder in tosende, ohrenbetäubende Aggression umschlägt.

Lautlinie ist eine siebenköpfige Theatergruppe aus der ehemaligen Zone. Den Ostbonus, der vielen Künstlern gönnerhaft verpaßt wird, haben sie gründlich satt, obwohl er ihnen — als bestem Ensemble der ehemaligen DDR, das nie auf Parteilinie lag — einen großzügigen Senatszuschuß eingebracht hat. Die Vergangenheit ist gegessen, von der Öffentlichkeit als Kollektiv haben sie genug. Ihre Textcollage, obwohl »organisch und in Kollektivarbeit gewachsen« (Regisseur Körner), stelle das Persönliche in den Mittelpunkt; eine »persönliche Öffentlichkeit«, in der nicht die abstrakte Gesellschaft krank ist, sondern der einzelne.

Eine »Lautlinie« rhythmischer Sprache, exaltierter Körperarbeit, faszinierend geführt von den Instrumenten, zielt zum Lichtkegel zurück, wo sich Amina Gusner mit einem »Klick« auslöscht. Es war ein Sprechen vom Nichts mit Leib und Seele, mit Lust und Laune. Petra Brändle