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WOHIN MIT DEM OLLEN DING? Von Philippe André

Was waren das noch für herrliche Zeiten, als man in Berlin — wie in anderen Städten noch heute — alles, was man nicht mehr brauchte, wollte oder ertragen konnte, einfach draußen vor die Tür stellte. Sperrmüll nannte man das. Ohne viel Federlesens entledigte man sich kostenlos allen überschüssigen Zeugs — und machte nebenbei noch jene glücklich, die das eine oder andere dringend brauchten oder nur in einer Art gigantischem Trödelmarkt nach kleinen Gratis-Schnäppchen stöbern wollten. An Sperrmülltagen zeigte der Berliner Bürger im Kiez überdies geradezu südländische Charakterzüge. Ausgiebigst wie sonst nie, promenierte er in den Abendstunden eines Sperrmülltages ums Viertel, machte Bekanntschaft mit direkten Nachbarn, die ihm bislang nie untergekommen waren. Ganz nebenbei auch entdeckte er so manches, das „man doch nicht so einfach wegschmeißen“ konnte. Was übrigblieb, holte anderntags die Müllabfuhr.

Nun gibt's das hier schon seit vielen Jahren nicht mehr. Wohin also mit dem ollen Sofa, das wir schon so lange loswerden wollen? Ein Anruf bei einem Abholdienst ergibt einen Kostenvoranschlag von satten hundert Mark. „Tja, fuffzig Eier der Quadratmeter, det is nu ma der Preis“, ätzt es durch den Hörer. Eine Alternative wäre ein Leihbus, sagen wir 40 DM, selbst aufladen und zur Deponie fahren, dort noch eine Kleinigkeit löhnen, dann wär's geschafft.

Nach reiflicher Überlegung entscheiden wir uns für die billigste, wenngleich unökologische Entsorgungsvariante: wildes Sofaablassen. Als Zeitpunkt wählen wir die tiefe Montagnacht, 0 Uhr 45. Um Mißverständnissen vorzubeugen. Niemand soll glauben, wir wollten hier die Trottoirs verunreinigen. Ich gehe voran. Das Ding ist unglaublich schwer. „Geht's noch“, keuche ich mühevoll nach hinten. „Klar, ist doch federleicht“, zischt meine Gattin zurück. War da etwas Überhebliches in ihrer Stimme? Egal. „Wohin“, rufe ich unter starken Schmerzen, weil irgendwelche Nägel allmählich meine Hände zu pfählen beginnen. „Nicht gerade vor die Haustür, Mensch. Da vorn, gleich nach der Ecke.“ Noch einmal bäume ich mich auf. Vier, fünf Meter noch. Das ist zu schaffen. Jemand kommt um die Ecke. „Bitte“, sage ich ganz leise. „Laß es kein Nachbar sein.“ Es ist der Nachbar. Ich schrumpfe vor Scham an ihm vorbei. „Nabend“, zwei Sekunden drauf meine Frau. „Ach hallo“, sagen sie, „wir haben noch Post für Sie.“ Ich sterbe. Wortlos gebe ich mir einen Ruck, der das gemütliche Schwätzchen hinten abrupt unterbindet. Endlich torkele ich um die rettende Ecke. Niemand zu sehen. Geschafft! Absetzen und schnell weg.

Warum gibt's eigentlich keinen Sperrmüll mehr? Man würde den Menschen eine echte Freude machen. Außerdem ist dies eine ebenso wunderbare wie bewährte Form des Recyclings, so natürlich und menschenfreundlich. Schmutz ist kein Argument. Der Rest wurde immer abgeholt. Nur jetzt holt sie ewig keiner ab, all die Sofas, Teppichböden, Kühl- und sonstigen Schränke.

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