: »Verloren, was ihm am liebsten war«
■ 23jähriger Tankwart wegen Tötung seiner Mutter zu sechs Jahren Haft verurteilt/ Gericht erkannte auf Totschlag, ursprünglicher Anklagevorwurf lautete Mord/ Strafmildernde Reue des Angeklagten
Berlin. Mit einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren wegen Totschlags ging gestern der Prozeß gegen den 23jährigen Tankwart Christian W. zu Ende, der im Juli vergangenen Jahres seine Mutter erwürgt hatte. Wie berichtet hatte der Angeklagte am ersten Prozeßtag ein umfassendes Geständnis abgelegt, indem er sagte, daß er seine 56jährige Mutter Albertine W. sehr geliebt habe und einfach nicht mehr ertragen konnte, daß sie ständig betrunken gewesen sei. Der urspüngliche Vorwurf des Mordes war durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Ebenso wie die Staatsanwaltschaft ging die 29. Strafkammer davon aus, daß die für einen Mord-Schuldspruch erforderlichen »heimtückischen Merkmale« nicht vorgelegen hätten. Vielmehr habe der Angeklagte in seiner »alkoholbedingten Verblendung zum Besten der Mutter handeln wollen«.
Bevor er auf die Tat zu sprechen kam, hatte der Vorsitzende Richter Hüller gestern den Lebenslauf des Angeklagten zusammengefaßt: Christan W., das jüngste von sechs Kindern, sei in einer Familie mit Alkoholproblemen großgeworden. Der autoritäre Vater habe übermäßig viel getrunken. Nachdem der Vater 1989 gestorben war, habe auch die Mutter begonnen, übermäßig Alkohol zu trinken und sei dabei in sozialer Hinsicht zusehends heruntergekommen. Christian W. habe ebenfalls viel getrunken und sei dadurch immer mehr abgerutscht.
Getreu seinem Versprechen, daß Christian W. seinem Vater auf dem Sterbebett gegeben habe, machte er sich es zur Aufgabe, seine Mutter zu kontrollieren. So habe er sie häufig aus ihrer Stammkneipe abgeholt oder auf der Straße aufgelesen und ihr heftige Vorwürfe gemacht. Die Mutter habe sich von dem Sohn aber nichts sagen lassen, »obwohl ihr eigenes Leben ihr nicht mehr lebenswert erschien«, sagte der Vorsitzende Richter Hüller und berief sich dabei auf Zeugenaussagen. Der Angeklagte habe Angst gehabt, seine Mutter zu verlieren und habe deshalb auch ihre lockeren Bekanntschaften zu Männern streng überwacht.
Am 2. Juli 1991, als Christian W. die Mutter wieder einmal aus der Kneipe abgeholt hatte, war die schwerbetrunkene Frau zu Hause gleich zu Bett gegangen und sofort eingeschlafen. Der Angeklagte hatte eine Musikkassette aufgelegt, seine Mutter auf die Wange geküßt und ihr in dem Gedanken, »sie quält sich nur mit absolutem Tötungswillen«, die Luft abgedrückt, beschrieb der Richter das Tatgeschehen.
Auch wenn der Angeklagte sich damit »zum Herrn über Leben und Tod aufgeschwungen« habe, sei er mit sechs Jahren Haft genug bestraft, befand das Gericht. Als strafmildernde Gesichtspunkte wurden die Trunkenheit des Angeklagten sowie sein Geständnis und seine große Reue angeführt. Der junge Mann leide sehr unter der Tat und habe das »verloren, was ihm am liebsten war«.
Gleichzeitig gab das Gericht dem Antrag von Verteidigung und Staatsanwaltschaft statt, in dem es Christian W. zu einer Entziehungskur in eine geschlossene Anstalt einwies. Der Staatsanwalt hatte acht Jahre Haft gefordert. plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen