: DIE PHYSIOGNOMIE DES HUMANEN Von Mathias Bröckers
Nun also auch Stolpe, der gute Mensch aus Brandenburg und Weizsäcker des Ostens: „Ich müßte heute noch nach Schwefel riechen, so oft habe ich mit dem Teufel Stasi geredet.“ Warum? „Um den SED-Staat durch seine eigenen Machtmittel zu überlisten... Uns blieb nur die Kraft der Schwachen wie des Wassers gegen den Fels.“ Stolpe also derselbe Tropf wie alle die, die weder etwas unterschrieben noch Honorare kassierten, sondern allein zum Zwecke des Humanen mit der Staatssicherheit paktierten?
Auf die im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß gestellte Frage, ob Ernst von Weizsäcker als Staatssekretär in Hitlers Auswärtigem Amt Deportationsbefehle abgezeichnet habe, wandte seine Frau ein, nur einmal die Hände ihres Mannes zu betrachten — solch zarte Glieder könnten doch keine Mordbefehle unterschreiben. So falsch der von einigen „Aufklärern“ ins Feld geführte Vergleich von Stasi und Auschwitz sein mag — falls es zu einem Prozeß gegen Stolpe käme, könnten ähnliche Argumente wie das der Freifrau von Weizsäcker auftauchen. Man sehe sich diesen knallsympathischen Charakterkopf Stolpe an — kann ein derart integrer Feingeist, ein Mann des offenen Blicks und des bedachten klaren Worts, sich schuldig gemacht haben? Und wenn er es doch getan haben sollte, ist dann nicht diese Schuld aufzuwiegen gegen das Gute, das er doch intendierte und das nur durch den Pakt mit dem Bösen getan werden konnte? Von Weizsäcker konnte seinen Top-Job unter Hitler nur behalten, weil er mitspielte und Juden in den Tod schickte — nur so konnte er aber auch einigen helfen und wurde, nach nur einem Jahr Gefängnis, begnadigt. Auch Manfred Stolpe konnte seinen Top-Job unter Ulbricht und Honecker nur behalten, weil er mitspielte und tat, was man von ihm verlangte: „Daß Entwicklungen, die von der Stasi als gefährlich angesehen wurden, durch mich entschärft wurden.“ Nur so hätte er „Freiräume“ für die Kirche schaffen können. „Man kann“, so Stolpe in seinem Bekenntnis, „die evangelische Kirche in der DDR getrost an der Bekennenden Kirche messen. Denn auch die Bekennende Kirche hat nicht den direkten Kampf gegen Hitler geführt, sondern im System ihren Freiraum behauptet.“ Die Nachricht, daß seine Stasi-Händel in Frage gestellt werden, erreichte Stolpe vergangene Woche im Vatikan, wo er an einem Kongreß unter dem Motto „Kapitalismus und Ethik“ teilnahm — eine Veranstaltung, die angesichts des permanenten Skandals um die Geldgeschäfte der Vatikan-Bank eigentlich nur als Satire-Kongreß denkbar ist, dann freilich ohne Prominenz vom Schlage Stolpe. Ernst v. Weizsäcker, nach seinem Ausscheiden aus dem Außenministerium ab 1943 Botschafter beim Papst, will die Vatikan-Connection seinerzeit genutzt haben, um zu „helfen“. Wie zweischneidig auch diese Hilfe gewesen sein dürfte, führte in den 60er Jahren Rolf Hochhuths Dokumentar-Stück Der Stellvertreter vor: Papst Pius als Kollaborateur der NS-Macht und absoluter Gegenpol zu den Christen im Widerstand. Ob Stolpe den beißenden Schwefelgeruch in den Hallen des Vatikans wahrgenommen hat? An diesen beiden Maßstäben jedenfalls — dem „bekennenden“ Widerstand und der bloß machterhaltenden Kollaboration — wird sich der Christenmensch Stolpe messen lassen müssen. Die Physiognomie des Humanen allein darf nicht mehr ausreichen, um als Stehaufmännchen immer oben zu schwimmen.
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