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Leere Birne auf ausgedörrtem Leib

Um ein Haar wäre Michael Stich im Achtelfinale gegen Wally Masur mitten auf dem Centre Court verdurstet/ Hoffnungsvoller Junior Sarawuth Yougchantanasakul leider ausgeschieden  ■ Aus Melbourne Mario Vigl

Sollte es einem nicht gut gehen, wenn man plötzlich der beste deutsche Tennisspieler ist? In der Weltrangliste erstmals vor dem schicksalsgebeutelten Boris Becker steht? Sollte man da nicht strotzen vor Glück und Wonne? Sich fühlen wie ein junger Tennisgott? Michael Stich ist in den Tagen nach der Übernahme der deutschen Tennis-Regentschaft statt dessen müde, „mental ausgelaugt“ und kurz vorm Verdursten.

Bei den Australian Open in Melbourne ächzte sich ein den neuen Würden unwürdig spielender Stich gegen den Australier Wally Masur in einem Trauerspiel von vier Sätzen ins Viertelfinale. Von der Sonne reich bedacht, boten beide Akteure in der ersten halben Stunde eine verwirrende Mischung aus Fußball und Golf. Ständig landete der Ball entweder im Netz oder flog in ästhetischer Ballistik in die hintersten Ecken der Anlage. Als Michi Stich bei 3:4 und eigenem Aufschlag gleich vier Bälle hintereinander verhunzte, war's um Satz eins endgültig geschehen. 6:3 für Wally Masur, der 1987 schon Boris Becker bei den Australian Open ausgeschaltet hatte. Es sei so heiß gewesen, klagte Stich hinterher, er hätte „die ganze Zeit trinken können, nur leider ging das nicht“.

Schließlich mußte er ja noch ein bißchen Tennis spielen. In den Pausen zwischen dem gierigen Hineinschütten von Wasser stabilisierte der Elmshorner Schlaks dann wenigstens seinen Aufschlag soweit, daß der Australier nicht mehr breaken konnte. Bis zum 5:4 für Stich baten die bemitleidenswerten ZuschauerInnen bitterlich um einen Ballwechsel, doch die herzlosen Buben auf dem Centre Court hatten kein Einsehen. Kaum ein Return landete im dafür vorgesehenen Feld, selbst der Wuppertaler Mantaclub in der Ost- Tribüne stellte da seine Anfeuerung ein.

Doch siehe da, durch einen kräftigen Schluck leckersten Mineralwasser gestärkt, spielte der Wimbledon- Sieger drei Bälle fehlerfrei zurück, was den aufschlagenden Masur so verblüffte, daß er sie alle regungslos passieren ließ und den vierten dann gleich selbst ins Netz setzte. 6:4 für Stich.

Welch wahrer Spruch war nach dem Spiel der wundervollen McEnroe und Sanchez durch die Gänge des Tennis-Zentrums geklungen? „Manchmal ist es ungerecht, daß nur einer gewinnt.“ Beim Spiel Stich-Masur konnte man sich ärgern, daß überhaupt einer gewinnt. Beide hätten sich ihr Ausscheiden redlich verdient. Doch Michael Stich war in den nächsten Sätzen einen Hauch weniger schlecht (von besser kann wahrlich nicht die Rede sein) und gewann mit 7:6 und 6:4.

„Ist mir egal, daß ich schlecht gespielt habe — Hauptsache gewonnen“, sagte nach dem Match keck der Deutsche. Wie wünschte man da sich wieder seinen Boris her? Wenn der saumäßig spielt, kann man wenigstens mitleiden. Beim kühlen Michi bleibt nur der Griff zur Fernbedienung.

Emotional ist er eben so mitreißend wie ein chinesisches Eßstäbchen. Und dann mußte noch die realitätsfernste Einschätzung der jungen Saison hingenommen werden. „Gegen Lendl oder Edberg hätte ich heute sicher verloren“, teilte Michi der sichtlich beeindruckten Fachwelt mit. Was natürlich nichts anderes als als die Unterschlagung von circa 268 Tennisprofis, die diesen reflexlosen und kläglich returnierenden Stich vom Platz gefegt hätten, war. Die Stunde der Wahrheit kommt in der Runde der letzten 16 gegen den 20jährigen Holländer Richard Krajicek. Der hat nach Michael Chang auch Richard Bergstroem in drei knappen Sätzen mit 7:5, 7:6 und 6:3 geschlagen und spielt so, wie Michael das vergangenes Jahr in Wimbledon gemacht hat: richtig gut.

Weniger gut war in der ersten Runde des Juniorenwettbewerbs der junge Thailänder Sarawuth Yougchantanasakul. Er verlor gegen den Australier Grant Doyle mit 1:6, 1:6. Dennoch: schon allein der Kampf des Schiedsrichters mit diesem Juwel von Namen war besser als das Stich- Spiel. Sarawuth: Viel trainieren! Du sollst in fünf Jahren Wimbledon gewinnen. Yougchantanasakul schlägt Stich in drei Sätzen. Was wären wir dir dankbar, Junge.

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