KOMMENTARE: Ein knapper Sieg
■ Im kleinsten Balkanstaat Bulgarien wurden die Nationalisten — vorerst — gestoppt
Der alte, neue Präsident Bulgariens, Schelju Schelew, ist nicht zu beneiden. Sein Widersacher Welko Walkanow, den die Altkommunisten zu ihrem Kandidaten erkoren, schaffte immerhin noch 47 Prozent der Stimmen. Ein Volkstribun, der gedanklich dem Serbenführer Milosevic oder dem georgischen Despoten Gamsachurdia in nichts nachsteht. Walkanow zog in die Stichwahl mit der Parole: „Bulgarien den Bulgaren— Türken raus“.
Noch sind die knapp eine Million Türken eine unterdrückte Minderheit unter den Bulgaren. Aber wie lange noch? Durch die außenpolitisch undiplomatische und nach innen extrem nationalistische Politik Ankaras haben die Bulgaro-Türken keinen seriösen Fürsprecher. Die Minderheit wird von innen und außen zerrieben. Aber nicht nur sie. Auch die Bulgaren haben ähnlich wie manche ihrer balkanischen Nachbarn ihre nationale Identität noch nicht gefunden.
Schelews „Union der demokratischen Kräfte“ hat in ihrer halbjährigen Amtszeit keines der wirtschaftlichen und politischen Probleme in den Griff bekommen. Das bulgarische „Stasi“-Archiv bleibt unter Verschluß, der Prozeß gegen Schiwkow zieht sich ins Leere, die ersten Schritte zu einer europaorientierten Marktwirtschaft werden aus Angst vor Popularitätsverlusten nicht angegangen, und durch eine ungeschickte Diplomatie zieht man sich in den Jugoslawienkonflikt hinein. Denn Bulgarien ist das einzige Land der Welt, das neben Slowenien und Kroatien bereits auch Bosnien und Mazedonien als souveräne Staaten anerkannte. Ein politischer Alleingang mit ungewissem Ausgang. Die Absicht ist nicht zu verschleiern: Bulgarien schielt auf Mazedonien. Und nicht wenige Mazedonier schielen auf Bulgarien. Es liegen in Skopje wie in Sofia Pläne in der Schublade, beide Staaten in einer Konföderation zu vereinigen. Nur so glaubt man, gegen die äußeren Feinde, gegen Serbien, Griechenland und die Türkei, bestehen zu können. Das kleine Acht- Millionen-Volk der Bulgaren und die geschichtlich verwandten zwei Millionen Mazedonier leben mit dem Trauma, im nationalistischen Balkangetümmel unterzugehen, pflegen sie nicht ihrerseits einen überzogenen Nationalismus.
Schelew ist sich all dieser Probleme als integrer Intellektueller und Ex-Dissident bewußt. Aber wieviel Zeit bleibt ihm? Europa läßt den kleinsten Balkanstaat hängen. Hat die DDR noch über eine Milliarde Mark offene Schulden, so die Sowjetunion, die Bulgarien fast wie eine Kolonie hielt, noch einige mehr. Neue Handelsbeziehungen gibt es nicht. Die Nachbarn meiden aus politischen Gründen den Handel. Mehr noch: Sie rüsten ihre Armeen auf. Griechenland konzentriert dieser Tage seine Truppen wegen der Mazedonienfrage gemeinsam mit Serbien an der Grenze. Es ist Schelews fünf Prozent Stimmenvorsprung zu verdanken, daß dieses südbalkanische Pulverfaß vorerst nicht explodieren wird. Läßt Europa aber diese Region weiterhin wirtschaftlich und politisch links liegen, dann sind die Walkanows nicht mehr aufzuhalten. Roland Hofwiler
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