piwik no script img

Dem Volk ist nicht nach Feiern

Mit Gleichgültigkeit und Desinteresse reagierten die Iraker auf den ersten Jahrestag der „Mutter aller Schlachten“/ Saddam Hussein begegnet dem latenten Unmut mit innenpolitischer Kosmetik  ■ Aus Bagdad Henri Hernon

Den ersten Jahrestag der „Mutter aller Schlachten“ quittierten die meisten Iraker mit Gleichgültigkeit— ebenso die vom Regime organisierten Aktionen und Feierlichkeiten. Demonstrationen, Kundgebungen und „Herausforderungsaktionen“ wurden kaum besucht. Auf den Straßen sah man keine Spuren festlicher Stimmung, keine bunten Lampen oder Siegerkränze, wie sie zu solchen Anlässen üblich sind. „Das ist für uns der erste Jahrestag des Todes unserer Kinder“, sagte ein Iraker. „Die Führung weiß genau, wie die Stimmung hier ist. Deshalb haben sie die Straßen nicht geschmückt.“

Lediglich zwei Ereignisse stießen auf großes öffentliches Interesse: ein Fußballspiel sowie ein Erlaß des Revolutionsrats vom Vorabend des Jahrestages, wonach in Zukunft auch Autodiebstahl mit dem Tode bestraft wird. So mancher hofft nun, ruhig und ohne die Angst schlafen zu können, am nächsten Morgen sein Auto nicht mehr vorzufinden. Die Zahl gestohlener Autos ist im ganzen Land in die Höhe geschnellt.

Im übrigen dürften sich die meisten Iraker für ihre Abwesenheit bei den Feiern des Jahrestags von Saddam Hussein höchstselbst entschuldigt gefühlt haben. Schließlich hatte Saddam letzte Woche bei einem Treffen mit einer Delegation der irakischen Jugendorganisation verkündet, die Partei, der Staatsapparat und die Massenorganisationen dürften das Volk nicht mehr zur Teilnahme an Aktivitäten zwingen. „Man muß das Volk überzeugen“, sagte der irakische Diktator.

Wenig überzeugt zeigten sich die Menschen in Bagdad von einer viertägigen islamische Volkskonferenz, die letzten Freitag begann. 700 Delegierte aus 32 Ländern waren in die irakische Hauptstadt gekommen, um Saddam Hussein ihre Unterstützung zu versichern. Die meisten repräsentierten politisch unmaßgebliche Gruppen, vertreten waren allerdings auch Delegationen der starken islamischen Bewegungen aus Algerien, Ägypten, dem Sudan und Jordanien. Unter den Konferenzteilnehmern fanden sich auch islamische Abordnungen aus der Russischen Föderation und anderen ehemaligen sowjetischen Republiken.

Ein bißchen Mehrparteiensystem

„Die übernachten in Luxushotels, bekommen Luxusmahlzeiten, fahren mit Luxuslimousinen“, kommentierte ein Iraker verbittert. „Warum schlafen sie nicht bei den armen irakischen Familien, um zu sehen, wie wir leben und was wir essen?“ Auch die Hinwendung des Regimes zu religiöser Rhetorik nimmt er mit Skepsis auf. Jahrzehntelang hatte sich das Baath-Regime eine ausgewiesen weltliche Ausrichtung gegeben; die religiösen Organisationen der Sunniten und Schiiten wurden unterdrückt und verfolgt. „In dieser schweren Situation wenden sich viele in der Bevölkerung wieder dem religiösen Glauben zu. Das Regime will jetzt die ,Gottespartei des Irak‘ sein, um zu verhindern, daß die Leute sich in Richtung auf eigene religiöse Parteien orientieren.“

Offensichtlich in dem Bestreben, den Irakern zu beweisen, daß man es mit dem neuen Motto „Überzeugung statt Zwang“ ernst meint, hatte der Revolutionsrat in der letzten Woche zusammen mit der Führung der Baath-Partei beschlossen, die Organisation dem neuen Parteiengesetz vom November anzupassen. In Bagdad wird in der nächsten Zeit mit einer Reform des politischen Systems gerechnet.

Bislang dürfte angesichts des Inhalts des Gesetzes allerdings kaum ein Iraker Lust verspüren, eine neue Partei zu gründen: In diesem Fall müßte er die Namen sämtlicher Mitglieder und die Protokolle sämtlicher Organisationssitzungen an das Innenministerium schicken. Auch die Quellen zur Parteienfinanzierung unterstehen nach wie vor der strikten Kontrolle des Baath-Regimes.

Kontakte mit Exilorganisationen

Offensichtlich ist man im Irak im Zuge innenpolitischer Kosmetik auch um Kontakte zu Exilorganisationen bemüht. Nach Angaben gut informierter Kreise führt das Regime Gespräche mit einigen irakischen Oppositionsgruppen im Exil, aber auch mit ehemaligen Mitgliedern kommunistischer und panarabischer Organisationen im Land. Die aus einer Abspaltung von der irakischen KP hervorgegangene Gruppe „Forum“ hatte bereits vor ein paar Monaten einen Dialog mit dem Regime Saddam Husseins begonnen. Ein ehemaliges ZK-Mitglied der KP, Majid Abdel Reda, war im Februar letzten Jahres nach dreizehn Jahren Exil in Prag nach Bagdad zurückgekehrt und schreibt heute in der Parteizeitung 'Al Thawra‘. Die „Forum“- Gruppe vermittelt offenbar zwischen dem Regime und anderen Gruppen und Angehörigen der Opposition im Exil. Alle irakischen Zeitungen veröffentlichten letzte Woche einen Appell parteiloser politischer Persönlichkeiten, in dem sie die Iraker dazu aufrufen, die Einheit des Landes zu schützen und gegen feindliche Verschwörungen zu kämpfen. Sie forderten außerdem eine friedliche Lösung der kurdische Frage.

„Wir müssen die Mentalität dieser Führung verstehen“, erklärte ein diesen Kreisen nahestehender irakischer Intellektueller, „und versuchen, Schritt für Schritt eine Änderung herbeizuführen. Das wird lange dauern.“ Allerdings hätten die Erfahrungen in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern gezeigt, daß schnelle Veränderungen zu einer Katastrophe führen könnten. „Aber wir haben lange genug erfahren, daß es nichts bringt, im Exil zu arbeiten. Wir müssen hier im Land um Veränderung kämpfen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen