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Auf rötlichen Söckchen

■ Über den ersten DDR-„Tatort“ am vergangenen Sonntag

Dankenswerterweise blieben uns Stasi-Schergen, Altfunktionäre, und teetrinkende Oppositionelle erspart. Allerdings auch ein halbwegs übersichtlicher Plot, wie er bei Krimis — ob sie nun Polizeiruf 110 heißen oder Tatort — ganz angenehm ist. Statt dessen wurde über den unbedarften ZuschauerInnen im Anschlußgebiet (West) ein bunter Kessel Wende-Realitäten ausgekippt. Ein Fall für Ehrlicher, produziert noch von der ehemaligen Fernsehzentrale Adlershof und ausgestrahlt von der CDU-Filiale MDR, war nicht unbedingt ein Film für die PrintenfresserInnen weit weg in Aachen oder hanseatisch-kosmopolitische Fischköppe. Der kleine Duft der engen Welt eben. Wenn sich schon nicht 40 Jahre Sozialismus in einen Tatort pressen lassen, dann wenigstens sämtliche lustig-traurigen, aber wahren Ost-West-Klischees — mußte sich Autor und Regisseur Hans-Werner Honert gedacht haben. Dreh mich noch ein letztes Mal. Dazu: reichlich inzestuöse und fremdenfeindliche Motive sowie Alltagsweisheit, die auf rötlichen Söckchen daherkam, leise, nie plump. Wunderbar: das verschnarchte Ermittlungstempo. Der Kebab-Imbiß vor King Kohls Dresdner Einheitskulissen. Der polnische Restaurateur. Der rechtsradikale Maurerlehrling. Die vermißt gemeldete Tochter, die sich gleich in den ersten Minuten entblößt, als wär's für die 'Super Illu‘, und den Stiefvater in spe verführt. Der Sohn des Kommissars, der das Elternhaus gegen den Willen des Vaters zur Kneipe umbaut — falls Vati doch abgewickelt wird. Die Mutti, die stolz verkündet, daß sie sich „qualifiziert“. Das frischgemalerte riesige Büro ohne Schränke, dafür mit unglaublichem Widerhall. Der Westvorgesetzte aus München, der den Westen leid ist. Und schließlich Kommissar Ehrlicher selbst, der dem überklebten „V“ von „VP“ auf dem Behördenschild im Flur doch ein wenig nachtrauert und mit dem Einknasten weiterhin etwas vorschnell ist. Dennoch: Schimmerte durch seinen lapidaren Gestus nicht auch ein Hauch von Columbo? Polizeiruf 110, der DDR-Tatort, bot vor der Wende oft mehr Möglichkeiten, die Realität kritisch abzubilden, als das in anderen Filmen möglich war. Ein Fall für Ehrlicher, der FNL-Beitrag in der föderalen Tatort-Reihe, hebt diese Gesellschaftskritik ins Ironische. Daran wird sich der nächste MDR-Tatort (und nicht nur der) messen lassen müssen. Bitte nicht einwesten! Schimmi ist tot, Ehrlicher währe lang! Hans-Hermann Kotte

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