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Die fleckige Wand wurde beflaggt

■ Nach einem Jahr großer Koalition: Diepgen zieht positive Bilanz/ Für eine Regierungsumbildung gebe es »keinen konkreten Ansatz«/ Er erwarte klare Entscheidung über Parlamentsverkleinerung

Berlin. Eberhard Diepgen wählte den Festsaal des Roten Rathauses, um nach einem Jahr großer Koalition seine Erfolgsbilanz zu präsentieren. »Die Kritik, die an der Politik des Senats laut geworden ist, leistet sich allzuoft den Luxus, sich an Nebensächlichkeiten festzuhalten«, sagte der Regierende Bürgermeister und streckte sich hinter seinem Stehpult. Über ihm an der Wand prangten die Flaggen von Berlin, Deutschland und nochmal Berlin.

Den Festsaal hatte Diepgen gewählt, weil alle anderen Räume zu klein gewesen wären für das Heer der Berichterstatter. Die dritte Flagge, die dort bisher nicht hing, hatte Senatssprecher Eduard Heußen eigens befestigen lassen, um einen Fleck zu bemänteln. Eine passende Kulisse also für Diepgens Versuch, das schlechte Bild seines Senates zu korrigieren.

Die am 24. Januar 1991 gebildete Koalition habe »eine Menge erreicht«, versicherte Diepgen, von der Hauptstadtentscheidung bis zur Auszahlung von Wohngeld an 258.000 Menschen in Ost-Berlin. Es gebe zwar noch »eine Fülle von Ungerechtigkeiten« in der Stadt, auch 1992 werde »wieder ein schwieriges Jahr«. Die Koalition habe sich jedoch als »handlungsfähig« erwiesen und eine Vielzahl von »Grundlagenentscheidungen« getroffen.

Für 1992 kündigte der Regierende Bürgermeister ein Abfallwirtschaftsprogramm und eine Verwaltungsreform an. Die »Schlüsselfrage« sei jedoch die Angleichung der Einkommen in den beiden Stadthälften. Wenn die Stadt ihr Ziel verwirklichen wolle, die Gehälter der öffentlich Bediensteten im Ostteil in diesem Jahr auf 80 Prozent der Westbezüge anzuheben, setze dies die »Vernunft der Tarifpartner« im Westen voraus. Die Stadt könne einen Gehaltsanstieg um vier bis fünf Prozent finanzieren.

Diepgen ließ offen, wie sich der Senat bei der Abstimmung über die Mehrwertsteuererhöhung im Bundesrat verhalten werde, deutete aber an, daß die Haltung des Senats davon abhängig sei, welche Zuwendungen die Stadt aus Bonn erhalten werde. Auch im Haushalt für 1993 werde der Senat drei Milliarden Mark einsparen, kündigte der Senatschef an. Auch einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr wollte er nicht ausschließen.

»Im Augenblick« sehe er dafür aber keine Notwendigkeit. Auch für eine Regierungsumbildung sah Diepgen »keinen konkreten Ansatz«, verteilte statt dessen einen Seitenhieb an die CDU-Fraktion. Er erwarte, so Diepgen, eine »klare Entscheidung« über die Parlamentsverkleinerung. Bislang hatte die CDU damit gezögert.

Auf die Kommunalwahlen am 24. Mai angesprochen, äußerte Diepgen »Sorgen um die Wahlbeteiligung«, weil die Bürger erstmals getrennt von den Abgeordnetenhauswahlen über die Zusammensetzung der Bezirksparlamente entscheiden könnten. Eine Testwahl für den Senat seien die Bezirkswahlen jedoch nicht. »Abgerechnet«, so Diepgen, »wird am Ende dieser Koal...« — er korrigierte sich — »der Legislaturperiode.« hmt

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