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Kronzeuge für RAF-Attentat präsentiert

Angeblich „Größter Fahndungserfolg seit Jahren“/ Bundesanwaltschaft präsentiert einen Kronzeugen für das Herrhausen-Attentat/ Sicherheitsbehörden streiten untereinander  ■ Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) — Seit mehreren Monaten verfolgt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe eine „heiße Spur“ bei der Fahndung nach den Mördern des Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen. Danach sollen vier Personen für den tödlichen Anschlag auf den Bankier verantwortlich sein: die 34jährige Andrea Klump und der gleichaltrige Christoph Seidel sowie zwei weitere Männer, von denen angeblich nur die Vornamen „Stefan“ und „Peter“ bekannt sind. Der hessische Innenminister Herbert Günther feierte gestern den Fahndungsapparat, dem es nun zum ersten mal seit Jahren gelungen sei, die strikte konspirative Abschottung der RAF- Kommandoebene zu durchbrechen. Nachdem man nun lange bei Anschlägen der RAF nur mit Vermutungen hätte arbeiten müssen, habe nun eine „konsequente und kontinuierliche Bearbeitung des terroristischen Umfelds zu klaren Aussagen geführt“.

Die Eloge von Günther kommt nicht von ungefähr. Immerhin war sein Landesamt für Verfassungsschutz maßgeblich an „dem Erfolg“ beteiligt. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hat sich die Geschichte folgendermaßen abgespielt: Im Sommer letzten Jahres — ein genaueres Datum wird nicht genannt — habe sich ein Mann (ungefähr 35 Jahre alt) an den hessischen Verfassungsschutz gewandt und dort einen Knüller erzählt. Er kenne die Herrhausen- Attentäter und habe sich auch selbst der Beihilfe an dem Attentat schuldig gemacht. Dies bereue er nun und wolle deshalb auspacken. Ungefähr zwei Monate vor dem Anschlag am 30. November 1989 sei er von seiner früheren Bekannten Andrea Klump in der Nähe seiner Arbeitsstelle in Bad Homburg angesprochen worden. Er habe zwar gewußt, daß Andrea Klump als RAF-Mitglied gesucht würde, hätte sich aber dennoch mit ihr zu einem weiteren Treffen verabredet. Bei dem nächsten Treffen sei auch Christoph Seidler, den er ebenfalls von früher her kannte, erschienen, von dem er ebenfalls wußte, daß er in der Illegalität lebt. Beide hätten sich mit der Bitte an ihn gewandt, in seiner Wohnung übernachten zu dürfen. Nachdem er zugestimmt habe, seien aber dann nicht nur seine beiden alten Bekannten bei ihm aufgetaucht, sondern noch zwei weitere Männer, von denen er nur die Vornamen „Peter“ und „Stefan“ kenne. Nach und nach hätten die vier ihn in den Plan eines Attentats auf den Chef der Deutschen Bank, der ebenfalls in Bad Homburg lebte, eingeweiht. Letztlich habe er zugestimmt, ihnen dabei zu helfen. Konkret will er den vier außer seiner Wohnung auch seinen Keller als Lagerraum für Sprengstoff und andere technische Geräte zur Verfügung gestellt haben. Außerdem hat er angeblich Arbeitskleidung, die das Kommando zur Tarnung trug, eingekauft und den Tatort vorher abgeklärt.

Herrhausen wurde am 30. November 1989 auf dem Weg in sein Frankfurter Büro in die Luft gesprengt. Die Explosion wurde durch eine Lichtschranke ausgelöst und sein Dienstwagen dabei völlig zerstört. Sein Fahrer wurde schwer verletzt. Die RAF bekannt sich als „Kommando Wolfgang Beer“ zu dem Attentat.

Als Motiv für den Gang des Mannes zum Verfassungsschutz gibt die Bundesanwaltschaft späte „Reue“ an. Eine Überprüfung der Aussagen hätte die Glaubwürdigkeit des Mannes bestätigt. In seinem Keller seien Sprengstoffkomponenten gefunden worden, die auch bei dem Anschlag verwendet worden seien.

Nach seiner Offenbarung gegenüber dem Verfassungsschutz wurden die Angaben des Mannes bis Ende November letzten Jahres durch den Verfassungsschutz „abgeklärt“. Nach Informationen der taz, die in Wiesbaden nicht bestätigt wurden, war das Bundeskriminalamt von dem „Gottesgeschenk in Frankfurt“ nicht unterrichtet. Am 21. November lieferte der Verfassungsschutz seinen Mann bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ab. Offenbar wurde diesem gleich die Möglichkeit der Straffreiheit angeboten, da er nach dem Kronzeugengesetz bei guter Kooperation mit einem blauen Auge aus der Sache herauskommen könne. Da er sich lediglich der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht habe, könne der Bundesgerichtshof von einer Strafverfolgung absehen. Und der Kronzeuge kooperierte. Aufgrund seiner Aussagen leitete die Bundesanwaltschaft eine verdeckte Großfahndung ein und versuchte vor allem die Identität der beiden nur mit Vornamen bekannten mutmaßlichen Attentäter zu klären. Gegen den Kronzeugen wurde zwar noch ein Haftbefehl erlassen, den der Ermittlungsrichter jedoch gleich wieder außer Vollzug setzte. Der Mann befindet sich auf freiem Fuß und soll in Sicherheit gebracht worden sein.

Nach Informationen der taz hat es innerhalb der Sicherheitsbehörden heftige Meinungsverschiedenheiten über Art und Umpfang der Veröffentlichung des Vorgangs gegeben. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Förster, begründete den jetzigen Zeitpunkt damit, daß zunächst verdeckt gefahndet wurde. An anderer Stelle hieß es, weiterführende Möglichkeiten im operativen Bereich hätte es nicht mehr gegeben — mit anderen Worten, die Hoffnung, einer der Attentäter würde noch einmal in der Nähe der Wohnung des Kronzeugen auftauchen, sei nicht mehr realistisch gewesen. Offen bleibt aber trotzdem, warum die Bundesanwaltschaft ihre Informationen preisgibt. Der frühere Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heribert Hellenbroich, hat denn auch folgerichtig bedauert, daß der Fall jetzt in die Öffentlichkeit geraten ist. „Ich glaube, einen Fahndungserfolg kann man jetzt abschreiben.“ Für seine früheren Kollegen ist Hellenbroich dagegen des Lobes voll: der Kronzeuge sei „unendlich wertvoll“.

Fraglich ist, wie der vermeintliche Fahndungserfolg sich auf die Initiative von Justizminister Kinkel auswirken wird, der die Haftfähigkeit kranker RAF-Gefangener überprüfen lassen wollte und angeregt hat, eine Entlassung weiterer RAF- Gefangener nach Verbüßung von 2/3 ihrer Strafe in Aussicht zu stellen. Diese Initiative war nicht zuletzt damit begründet worden, daß dem „Phänomen RAF“ allein durch polizeiliche Fahndung nicht mehr beizukommen sei, da die Kommandoebene der RAF völlig unbekannt sei.

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