: Göttinger Gericht schließt Öffentlichkeit aus
Einer der krassesten Fälle von Kinderpornographie vor dem Göttinger Landgericht/ Mutter und Stiefvater drehten „harte“ Video-Pornos mit zehn und zwölf Jahre alten Töchtern/ Die Kinder wurden für Aufnahmen auch „ausgeliehen“ ■ Von Reimar Paul
Fast anderthalb Stunden braucht das Gericht, um über den Antrag von drei Verteidigern auf Ausschluß der Öffentlichkeit zu beraten. Erst dann ist klar: Die ZuschauerInnen und die aus fast allen Landesteilen angereisten JournalistInnen bleiben ausgeschlossen und müssen mindestens bis zur Urteilsverkündung, die für den 30. Januar erwartet wird, zu Hause warten.
In dem Verfahren, so der Vorsitzende Richter Reiner Frank zur Begründung, kämen nämlich „sexuelle Praktiken in allen denkbaren und undenkbaren Variationen“ zur Sprache, durch deren Schilderung die schutzwürdigen Belange sowohl der Angeklagten als auch der betroffenen Kinder verletzt würden. Sämtliche zu verhandelnden Komplexe seien eng miteinander verknüpft; die „berechtigten Interessen der Öffentlichkeit“ müßten in diesem Fall zurücktreten. Lediglich ein Verteidiger hat für die Zulassung der Öffentlichkeit plädiert, die drei übrigen stellten Antrag auf Ausschluß.
Videos an Kunden im In- und Ausland vertrieben
Die PressevertreterInnen reagieren mit Unmut auf die Entscheidung. Auf den blassen Gesichtern der unscheinbar gekleideten Angeklagten zeigt sich keine Regung — Menschen, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild her mit den ihnen zur Last gelegten Straftaten nicht ohne weiteres in Verbindung zu bringen wären. Sie haben den Prozeßauftakt mit gesenkten Köpfen verfolgt, ihre Rechtsanwälte blicken starr nach vorn. Nach Informationen, die auf der Pressebank kursieren, sollen alle Beschuldigten, drei Männer und eine Frau, weitgehend gestanden haben, sich des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und der Verbreitung kinderpornografischer Filme schuldig gemacht zu haben.
In dem Verfahren vor der 9. Jugendkammer des Göttinger Landgerichts wird seit Mittwoch einer der krassesten bislang in der Bundesrepublik Deutschland bekanntgewordenen Fälle von Kinderpornografie verhandelt. Zumindest in Niedersachsen, so der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Klaus Ramberg, habe es eine vergleichbare Affaire noch nicht gegeben. Die Angeklagten sollen, das ergaben die im Oktober abgeschlossenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, mit zwei zehn und zwölf Jahre alten Mädchen zahlreiche „harte“ Porno-Filme gedreht und die Videokassetten bundesweit vertrieben haben.
Der 32jährigen Mutter und dem 38jährigen Stiefvater der Kinder legt die Anklage sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen in besonders schweren Fällen zur Last. Sie sollen ihre Töchter vor laufender Kamera sexuell mißbraucht und dabei auch zum Oralverkehr mit dem Stiefvater gezwungen haben.
An „Interessenten“ ausgeliehen
Über eine Kontaktanzeige hatten die Eltern zuvor einen Sozialhilfeempfänger aus Göttingen kennengelernt. Der 51jährige, der nach Informationen der Staatsanwaltschaft als einer der „ganz Großen“ im Kinderpornogeschäft gilt und zuvor in Thailand Filme mit dort beheimateten Mädchen produziert hatte, soll das Ehepaar überredet haben, seine Töchter für Porno-Aufnahmen „auszuleihen“. Die in einer Göttinger Wohnung gedrehten Videos vertrieb der Mann später an Kunden im In- und Ausland.
Der Anklage zufolge verliehen die Eltern die Kinder später an weitere Interessenten aus der Kartei des Video-Produzenten und kassierten dafür jeweils 300 Mark. Einer der Kunden, ein 40jähriger Schlosser aus dem Weserbergland, steht in Göttingen als Mitangeklagter vor Gericht. Er soll während der Aufnahmen mit dem älteren Mädchen mehrfach Geschlechtsverkehr gehabt haben. Das Verfahren gegen einen Kraftfahrer aus München, der die Kinder ebenfalls sexuell mißbraucht hatte, wurde abgetrennt.
Lehrerin bemerkt schwere Blutergüsse
Publik geworden war die Geschichte im vergangenen März, als eine Lehrerin am Körper der Kinder schwere Blutergüsse und außerdem Verhaltensstörungen bemerkte. Den Eltern wurde daraufhin das Sorgerecht für die Töchter aberkannt, die Mädchen in einem Göttinger Kinderheim untergebracht.
Für das Verfahren, in dem allen Angeklagten Haftstrafen von bis zu zehn Jahren drohen, sind zunächst vier Verhandlungstage angesetzt. Wie ein Prozeßbeteiligter gegenüber der taz erklärte, sei es „eher unwahrscheinlich“, daß auch die beiden betroffenen Mädchen vor Gericht aussagen müssen.
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