INTERVIEW: „Aus regelmäßigen Stasi-Kontakten geht man nicht unbeschadet hervor“
■ Stefan Bickhardt, Bürgerrechtler aus der kirchlichen Opposition und Mitbegründer von Demokratie Jetzt, zu Stolpes Doppelstrategie als Kirchenpolitiker
taz: Herr Bickhardt, halten Sie die Argumentation von Manfred Stolpe, mit der er jetzt seine Kontakte zur Staatssicherheit rechtfertigt, für ausreichend?
Stefan Bickhardt: Konspirative Kontakte zur Staatssicherheit sind schon allein deshalb belastend und schwer zu rechtfertigen, weil sie gerade nicht nachprüfbar sind. Auch für einen Vermittler zwischen Staat und Kirche waren solche Kontakte keinesfalls zwingend. Zudem spricht der offensichtliche zeitliche Zusammenhang der Veröffentlichung mit der Aktenöffnung nicht für Stolpe. Das macht seinen Aufruf zu glaubwürdiger Vergangenheitsbewältigung eher unglaubwürdig. Ich würde Stolpe zubilligen, daß er versucht hat, seine Kontakte im Interesse anderer Menschen zu nutzen, aber ich vermute auch, daß er sich und seinen Einfluß dabei überschätzt hat. Es ging ihm bei seinen Treffen wohl in erster Linie darum, von der Stasi politische Lageeinschätzungen zu erlangen, um seinen Verhandlungsspielraum, etwa im Blick auf die Reisefrage, genau ausloten zu können.
Wäre das per se schon kompromittierend?
Es konnte in der ehemaligen DDR nicht ausschließlich darum gehen, daß die Menschen mehr Freiheit bekommen, sondern auch, daß sie den Mut haben, selbstbewußt zu ihren Einschätzungen und Überzeugungen zu stehen. Ich halte mich da an das biblische Wort: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein“. Demgegenüber hat Stolpe eine Doppelstrategie vertreten, die ziemlich genau den uneindeutigen Formeln entsprach, die aus dem Bund der evangelischen Kirchen immer zu hören waren: die Kirche steht zwischen Opportunismus und Opposition, zwischen Anpassung und Verweigerung, zwischen Stabilisierung und Emanzipation. So hat die Kirche zum einen Handlungsspielraum für die Opposition herausgeholt; sie hat aber zum anderen durch ihre prinzipielle Anerkennung des Sozialismus die DDR international auf ihrem Weg der Anerkennung unterstützt.
War Stolpes Strategie also von der Kirche gedeckt?
Davon ist auszugehen, auch wenn seine offensichtlich widersprüchlichen Handlungen bei Kollegen aus der Kirchenleitung immer wieder für Irritationen sorgte. Ich hielt es allerdings schon damals für problematisch, in welcher Weise sich die Juristen und die Kirchenbürokratie in ihrer Machtausübung verselbständigen konnten und in welch geringem Maße theologische Diskussionen diese Politik bestimmt haben. Für die kirchliche Opposition war deshalb Bischof Forck, der ohne politische Rücksichtnahmen das sagte, was er für richtig hielt, insgesamt ermutigender als etwa Manfred Stolpe.
Besteht nun nicht die Gefahr, daß die frühere Opposition besonders rigide Maßstäbe an einen vermittelnd agierenden Kirchenpolitiker anlegt, weil ihre kompromißlosere Haltung durch den Zusammenbruch der DDR in ungeahnter Weise bestätigt wurde?
Das ist eher der Spiegel der westlichen Medien. Niemand wird bestreiten, daß Stolpe oppositionelle Initiativen wirksam unterstützt hat. Als z.B. die Umweltbibliothek im Herbst 87 von der Stasi durchsucht wurde, hat er durchgesetzt, daß die Umweltblätter im Konsistorium gedruckt werden konnten. Andererseits aber sollten die kritischen Gruppen und Aktionen für ihn immer kalkulierbar bleiben und sich möglichst wenig in den Westmedien artikulieren. An diesem Punkt hat er immer beschwichtigt. Ich denke, daß Stolpe im Sinne seiner Doppelstrategie darauf angewiesen war, in begrenztem Maße das Feuer der Opposition zu schüren, damit er bei seinen Verhandlungen mit dem Staat — von Stasi war ja damals nicht die Rede — auch wirklich etwas verhandeln konnte. Die oppositionellen Aktivitäten waren im Rahmen seiner Strategie so etwas wie ein Druckpotential in Richtung auf einen freizügigeren, demokratischeren Sozialismus.
Das hört sich ganz plausibel an.
Das ist unter machtpolitischem Gesichtspunkt zweifellos eine geschickte Strategie. Sie erscheint jedoch in einer problematischen Perspektive, wenn man etwa bedenkt, daß Stolpe nach dem Sturz Honeckers nicht das Gespräch mit der Opposition suchte, um sie zu geschlossenerem Handeln aufzufordern, sondern sich mit Krenz auf Schmusekurs begab. Damals wurde klar, daß Stolpe nicht in der Lage war, sich vom Vermittler hin zu einem kritischen, oppositionellen Politiker zu wandeln. Erst der Einsturz der DDR beziehungsweise der CDU-Wahlsieg im März waren nötig, damit er endgültig begriff, daß die DDR nicht reformierbar war. Wer sich über Jahrzehnte auf eine solche Vermittlungsstrategie des kalkulierbaren Forcierens und Beschwichtigens einläßt, dessen Persönlichkeit ist von dieser zwiespältigen Haltung durch und durch geprägt. Er kann sich offensichtlich nicht so schnell wandeln, wie Diktaturen glücklicherweise einstürzen.
Stolpe argumentiert ähnlich wie enttarnte informelle Mitarbeiter: man habe mit den Kontakten niemandem geschadet und zugleich versucht, mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Reform des Systems hinzuarbeiten. Sehen Sie da Parallelen?
Ich halte diese Argumentation der inoffiziellen Mitarbeiter für absurd. Sie stellt die Tatsachen auf den Kopf. IMs waren von A bis Z funktionalisiert. Wer einmal zur IM-Tätigkeit bewegt werden konnte, war erpreßbar. Bei Stolpe liegt der Fall anders. Er hatte reale Macht und konnte wirklich etwas für in Bedrängnis geratene Menschen erreichen. Dies konnten Spitzel wie Wollenberger oder Anderson auf keinen Fall. Inwieweit es der Stasi umgekehrt gelungen ist, Stolpe zu beeinflussen, ist auf der jetzigen Informationsbasis nicht zu sagen. Ich halte es aber für schwer vorstellbar, daß man aus regelmäßigen Kontakten mit der Stasi unbeschadet und unbeeinflußt hervorgehen kann. Ich denke, die neun kirchlichen Mitstreiter, von denen Stolpe gesprochen hat, müssen sich jetzt endlich erklären, damit man diese Art der Zusammenarbeit genauer diskutieren und beurteilen kann.
Ist Stolpes Autorität als Ministerpräsident jetzt empfindlich beschädigt?
Seine Autorität ja, aber ich glaube nicht, daß er sein Amt verlieren wird.
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