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KOMMENTARPlansoll erfüllt

■ Ein Jahr große Koalition: Erfolgsbilanzen statt Erfolge

Wenn man nicht viel ändern kann und dies auf keinen Fall zugeben will — dann nennt man das Regierungspolitik. Die Berliner werden von Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Verkehrsmisere geplagt — aber wer ließe sich weismachen, die Senatspolitik wäre mit ihren bisherigen Mitteln in der Lage, diesen Übeln abzuhelfen? Die Stadtregierung müht sich ab mit drei Großvorhaben, die eines fernen Tages als eine Art Wohlfahrtsmaschinen funktionieren sollen. Aber welchem Berliner jagen die Stichworte »Hauptstadt«, »Olympia«, »Berlin-Brandenburg« nicht eher Ängste ein, als ehrfürchtige Schauer?

Auf der einen Seite stehen die ratlosen Bürger und warten, auf der anderen die routinierten Stadtverwalter in den Rathäusern, die sich doch so redlich abgemüht haben. Während die einen immer noch auf Taten warten, rühmen sich die anderen nach einem Jahr ihrer Erfolge. Als Diepgen am Dienstag seine Bilanz — in Kurzfassung natürlich — vortrug, unterlief ihm immer wieder derselbe verräterische Fehler. Er erinnerte an die Zeiten, in denen es in der Bundesrepublik noch eine Solidarität mit »Berlin« gegeben habe — und meinte eigentlich West-Berlin. Er verglich die heutigen Probleme mit den Tagen, als »Berlin« nur mit »Problemchen« zu kämpfen gehabt habe — und meinte doch nur das West-Berlin, dessen Senatschef Diepgen schon einmal gewesen war. Mit dem Blick über den Westberliner Horizont hat der Regierende Bürgermeister offenbar immer noch Probleme, pardon, Problemchen.

Die Grenze ist verschwunden, um so deutlicher werden die Grenzen der Westberliner Tradition des Stadtverwaltens, für die dieser Senat immer noch steht. Dabei wurde der Regierende Bürgermeister Diepgen noch vor dem Fall der Mauer am Ende einfach abgewählt — vielleicht weniger wegen einiger Problemchen wie Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, vielleicht eher, weil sich die Bürger mit diesen Sorgen nicht ernst genommen fühlten. Routiniertes Verwaltungshandeln wird auch jetzt bestenfalls Erfolgsbilanzen produzieren, keine Erfolge. Was dem Senat bliebe, wäre der Versuch, die Berliner selbst für ihre Stadt zu interessieren. Bisher, leider, weckt er nur das Interesse von Bürokraten. Hans-Martin Tillack

Siehe auch Seite 23

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