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„Mein Kampf“ in Polen

Warschau (taz) — Die fliegenden Buchhändler, die seit 1989 überall in Warschau auf Plätzen, in den Straßen und Parks ihre Ware anbieten, müssen sich in alte Zeiten zurückversetzt geglaubt haben. Plötzlich erschienen in der Innenstadt Polizeipatrouillen mit staatsanwaltlicher Begleitung, die ihre Bücher durchsahen und zum Teil auch beschlagnahmten. Was vor vier Jahren noch durchaus üblich war, wenn es um die Bekämpfung antikommunistischer Samisdat- Literatur ging, galt jedoch am letzten Dienstag der ersten polnischen Übersetzung von Adolf Hitlers „Mein Kampf“.

Ein findiger Unternehmer aus Krosno, Besitzer eines legalen Verlags, hatte eine Idee. Er beschloß, mit Hilfe einer Ausgabe des Hitler- Buches Mein Kampf und der polnischen Massenmedien ein Geschäft zu machen — und das scheint ihm auch gelungen zu sein. Er ließ Mein Kampf ins Polnische übersetzen und erfand als Herausgeber zur Tarnung eine fiktive Verlagsanstalt, die das Buch dann in 20.000 Exemplaren auflegte. Nach eigenen Angaben wandte er sich zuvor sogar an das Kultusministerium, wo man seinem Ansinnen nichts in den Weg stellte: „Die erklärten, das ginge in Ordnung, die Zensur sei ja abgeschafft.“ Nur daß in Polen eben immer noch das Verbot gilt, rassistische und faschistische Propaganda zu verbreiten. Und das wiederum rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan.

Polens Ermittler, ansonsten meist ratlos, unterbezahlt und entsprechend wenig motiviert, gingen plötzlich mit Eifer zur Sache. So sehr, daß sie den fliegenden Händlern sogar Hans Helmut Kirsts 08/15-Romane abnahmen, „weil da auf dem Umschlag ein Hakenkreuz ist“, wie die 'Gazeta Wyborcza' einen offenbar wenig belesenen Staatsanwalt zitierte.

Die Rechnung des Verlegers aus Krosno ging auf, auch wenn er inzwischen Besuch von der Staatsanwaltschaft bekommen hat. Doch selbst wenn die ihm den Bücherschrank komplett plündern sollte, die kostenlose Werbung für sein Unternehmen gleicht das allemal wieder aus.

Bei den fliegenden Händlern ist der Preis von Hitlers Ergüssen inzwischen auf das Dreifache gestiegen. 15.000 Exemplare sollen verkauft worden sein, 4.000 weitere in einem sicheren Versteck auf die Zeit nach den Razzien warten.

Historiker sehen die Angelegenheit indessen weniger dramatisch. Sie werfen dem Verlag nicht vor, nazistische Propaganda zu verbreiten, sondern den Blut-und-Boden- Schmöker einfach schlampig übersetzt zu haben: „Das Buch ist nicht nur schlecht, es ist auch schlecht geschrieben und übersetzt“, klagt ein Historiker, „ganze Kapitel fehlen.“ Kein Wunder — Mein Kampf auf polnisch entstammt nicht der deutschen, sondern einer englischsprachigen Ausgabe.

Klaus Bachmann

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