: Abfuhr für Havel im Parlament
Prag (taz) — In der Tschechoslowakei ist es zu einer weiteren Verschärfung der Verfassungskrise gekommen. Sie bedeutet gleichzeitig eine Niederlage für Staatspräsident Havel. Zwei von ihm vorgelegte Verfassungsgesetze wurden von der Prager Föderalversammlung abgelehnt. Einen weiteren Gesetzentwurf zog der Staatspräsident selbst zurück.
Obwohl sich nahzu drei Millionen Bürger der CSFR in einer Unterschriftenaktion dafür ausgesprochen hatten, über die Zukunft der Föderation in einer Volksabstimmung entscheiden zu dürfen, weigerten sich die nationalistischen slowakischen Parteien, dem Präsidenten das Recht auf eine Ausschreibung des Referendums zuzugestehen. Ihr originelles Argument: Ein solches Referendum könne erst in einer schon „selbständigen Slowakei“ durchgeführt werden. Überraschender noch war die Haltung der slowakischen Politiker beim zweiten Tagesordnungspunkt. Ebenso wie ein Teil der Abgeordneten der konservativen tschechischen bürgerlich-demokratischen Partei ODS lehnten sie die Forderung, daß die Verfassung der Föderation von den Parlamenten der beiden Teilrepubliken genehmigt werden müsse, ab. Mit dieser Initiative hatte Havel den slowakischen Wünschen nach einer „Föderation von unten“ entgegenkommen wollen.
Wenige Monate vor den Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres bleibt auch der zukünftige Aufbau des tschechoslowakischen parlamentarischen Systems ungeklärt. Eindeutig abgelehnt wurde bisher lediglich der Vorschlag Vaclav Havels. Er wollte die von den Bürgern gewählte „Nationenkammer“ in einen dem deutschen Bundesrat in Grundzügen vergleichbaren Föderalrat umwandeln. Beibehalten bleibt somit vorerst eine Föderalversammlung, bei der nahezu alle Gesetze von insgesamt drei „Kammern“ mit der Mehrheit der gewählten — und nicht der anwesenden — Abgeordneten genehmigt werden müssen.
Bei dieser nach Einschätzung vieler tschechischer Politiker „wichtigsten Sitzung“ der derzeitigen Legislaturperiode wurde erneut deutlich, daß die Abgeordneten der nationalistischen slowakischen Parteien, unterstützt von der exkommunistischen „Partei der demokratischen Linken“ sowie einigen slowakischen Christdemokraten, jede Verfassungsänderung verhindern können. Sabine Herre
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