: Britische Justiz dient dem Geheimdienst
Belfaster Gericht verhindert Enthüllungen von Geheimdienstaktivitäten eines Armeeagenten ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die britische Justiz hat in letzter Minute mit einem Agenten des militärischen Geheimdiensts Absprachen getroffen. Die Verwicklung der britischen Armee in Morde und Bombenanschläge in Nordirland soll vertuscht werden. Der 44jährige Brian Nelson, der zur Zeit in Belfast vor Gericht steht, bekannte sich am Mittwoch zu fünf Mordkomplotten und fünfzehn weiteren Verbrechen. Im Gegenzug wurden fünfzehn schwerwiegendere Punkte, darunter zwei Mordanklagen, fallengelassen.
Der verdeckte Deal gleich zu Beginn der Verhandlung bedeutet, daß der mit Spannung erwartete „Sensationsprozeß“ zur Farce degradiert worden ist, da nun weder Nelsons Kontaktleute in der Armee noch andere Zeugen vernommen werden können.
Nelson war ursprünglich angeklagt, als Mitglied der protestantischen paramilitärischen Ulster Defence Association (UDA) zwei Morde begangen, Anschläge organisiert und geheime Personaldokumente aus den Aktenschränken der Armee besorgt zu haben, die dann zur Aufstellung von Todeslisten dienten. Sämtliche Tatvorwürfe betrafen einen Zeitraum, in dem er bereits als Agent für den Geheimdienst der britischen Armee arbeitete. In Interviews hatte Nelson behauptet, daß die Armeeführung nicht nur über seine Aktivitäten informiert war, sondern ihn auch aufgefordert habe, Anschläge in Dublin zu organisieren.
Nelsons Verhaftung im Februar 1990 war dagegen lediglich ein Versehen. Die Polizei, die nichts von seiner Agententätigkeit wußte, war im Zuge einer internen Untersuchung über die Zusammenarbeit von Teilen der „Sicherheitskräfte“ mit protestantischen Mordkommandos auf seinen Namen gestoßen. Zum Entsetzen des militärischen Geheimdienstes wurde Nelson festgenommen. Denn damit verlor die Armee einen ihrer wichtigsten Agenten.
Bei dem Belfaster Prozeß, der ursprünglich knapp zwei Monate dauern sollte, ist ans Licht gekommen, daß Nelson seinen Armeekontakten mehrfach konkrete Informationen über geplante Morde geliefert hatte. Dennoch unternahm die Armee weder etwas zum Schutz der Opfer, noch gab sie die Informationen an die Polizei weiter. Aber auch das Verhalten des Gerichts, das sich mit dem Gemauschel hinter den Kulissen zum Instrument des Geheimdiensts gemacht hat, ist von britischen Medien und nordirischen Politikern scharf verurteilt worden. Seamus Mallon von der Sozialdemokratischen Partei sagte: „Der Fall wirft grundlegende Fragen über die Rechtsqualität in Nordirland auf.“ Maura McDaid, die Witwe eines der UDA-Mordopfer, war dagegen nicht überrascht: „Ich habe ohnehin nichts erwartet.“
Nelson muß bei der Urteilsverkündung in der nächsten Woche mit einer Haftstrafe von zwölf Jahren rechnen. Die wird er jedoch kaum absitzen. Es ist in diesen Fällen üblich, daß die Kooperationsbereitschaft mit einer neuen Identität und einem sorgenfreien Leben im Ausland belohnt wird.
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