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Bühne plus Breitensport gleich Mord

■ Das Atelier Theater spielt »altes parfum« im Saalbau Neukölln — Eine Märchenadaption nach den Gebrüdern Grimm

Irgendwann war's plötzlich vorbei. Die Bühne war dunkel, und ich merkte, daß meine Gedanken meilenweit davonspaziert waren. Endlich, überstanden. Entweder hatte ich den falschen Humor eingepackt — oder das Stück konnte tatsächlich nur Freunde und Verwandte begeistern. Einige um mich herum lachten nämlich wirklich. Und manchmal, ich gestehe es gleich hier, überkam auch mich ein leichtes Schmunzeln. Doch die seltenen Momente, so krampfhaft sie auch festgehalten werden wollten, sie flohen. Eine Öde machte sich breit, erschlug mich. Angekündigt wurde das Märchen vom Froschkönig. Das Programmheft des Atelier-Theaters versprach eine moderne Abwandlung, die vielleicht interessant hätte werden können.

Der Frosch im grünen Anzug hüpft, die Bühne ist chamäleonartig in grün getaucht. Bis zum Auftritt der Lieben Prinzessin — dann erstrahlt sie im passenden Rot. Aber ach, die Prinzessin übt sich in asiatischen Konzentrations-Kampf-Verkrampfungen, und auch der Frosch wirkt seltsam deplaziert. Schweigend treiben sie ihre Sportgymnastik, der Frosch immer bemüht um seine Angebetete, die Prinzessin schwankend zwischen Ekel und Interesse. Und weil südamerikanische Rhythmen derzeit in sind, erklingt auch gleich eine solche Melodei.

Just an dieser Stelle plante die Regie (Claudia Blume und Lambert Blum) eine Retardierung des Flirts ein, und ließ die Prinzessin reflektieren. Dies veranlaßt Ute Terrey zu einem langsamen Sprechgesang, derweil Ralf Lücke im Vordergrund artgerecht wippt und lauscht: »Auf... meiner... Wange... blutet... die... Scham... und...« — hier hatte das einzige Baby im Publikum den genialen Regieeinfall, ein ebenso langgezogenes »Bäääh« einzuwerfen — ungeachtet dessen fuhr die Prinzessin fort: »und... um... mich... herum... zittert... die... Sonne«. Aha. So und ähnlich geht es weiter.

Ein ewiges Hin- und Hergezappel, das verdammt nach Breitensport aussah, diesen teilweise allerdings meisterhaft überschritt. Frosch und Prinzessin, das muß gesagt werden, beherrschten ihre Technik passabel; ihr Spiel mit dem Tuch, in das sie sich gegenseitig und symbolisch einwickelten, hatte Drive. Und doch, es reichte nicht. Zu lange Phasen der Langeweile, der mangelnden Bühnenpräsenz zerrten und zogen an den Nerven.

Irgendwann kriegen sie sich dann unter dem Tuch (na endlich, dann kann's ja zur Sache gehen...). Als aber die Eroberte sich schwört: »Du sollst mir Vater und Mutter sein und ganz mein eigen« ist alles klar. Der Mann muß ja überfordert sein! Auch mit den Utensilien, die ein Mann offensichtlich braucht, um kein Frosch zu sein: Krawatte, Jackettuch, Schuhe und Siegelring.

Die Spannung steigt trotzdem an, was bei dem Level bis dato kein Wunder ist. Frau macht das Bett mit genau der Präzision, die immer ankündigt, daß Aggression im Busch ist, während Mann sich anzieht.

Es folgt die einzige Szene, allerdings nach beinahe unendlichem Warten, die Leben und Spannung hat. Mit immer denselben und sich minutenlang wiederholenden Worthülsen eskaliert ein Streit, in dem es nicht um Worte geht, sondern allein um Haß. Immer wieder die alte Leier. Bis sich die Stimmen überschlagen, die Fronten klar sind, und auch die sporadischen Annäherungsversuche der Prinzessin vergebliche Liebesmühen bleiben. Allerdings — bei dem Hüftschwung und dem Vampblick kein Wunder. Nur noch »altes Parfum und Schweigen« ist in ihr. Und er — er wäre doch besser ein verkleideter Märchenprinz geblieben, da er als verkleideter Frosch nur eine lächerliche Figur abgibt.

Des (modernen) Märchens Schluß? Frauen: Küßt eure Märchenprinzen, dann seht ihr, was für Frösche ihr habt. Und Männer: Zweifelt endlich, daß sie wirklich eine Prinzessin ist. iGitte

P.S.: Und irgendwann kriegt jeder Topf eins auf den Deckel, sofern er denn einen hat!

Das Stück altes parfum vom Atelier-Theater wird heute, am 26., 30. und 31. nochmals um 20Uhr im Saalbau Neukölln, Karl-Marx- Straße, aufgeführt.

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