: Unvermeidlich
Auch wenn das Gegenteil behauptet wird, das Frische und das Freche der Pop Art ist dahin. Die Kölner Pop Art Show präsentiert Pop Art als Stil und in der Retrospektive. Ihr Ende ist damit institutionell besiegelt. Über die Kölner Ausstellung ein Bericht ■ Von Jörg Lau
Die Organisatoren der Pop Art-Show, die nach großem Erfolg in London jetzt in Köln zu sehen ist, haben sich sicher etwas dabei gedacht, den englischen Titel beizubehalten. Verspricht doch das Wort „Show“ den Besuchern hierzulande, daß von dem Spaß, den die Zeitgenossen an der erfrischenden Unangemessenheit der Kunst vor drei Jahrzehnten fanden, auch für sie noch eine schöne Portion übriggeblieben ist. Wie hieß es doch in Claes Oldenburgs Manifest zu The Store im Mai 1961: „Ich bin für eine Kunst, die ein Kind schleckt, nachdem es das Einwickelpapier abgelöst hat.“
Aber natürlich ist die Pop Art- Show eine Retrospektive, und in deren Wesen liegt, wie in jedem Blick zurück, immer schon der Keim zu einer gewissen Melancholie. Man zeigt sich bemüht, wohl auch im Interesse des Sponsors Telekom, der die Pop Art „innovativ und dynamisch, jung und kommunikativ“ dargestellt haben möchte, diesen notwendig melancholischen Zug des Projekts zu überspielen.
Daß die Historisierung der Pop Art besondere Skrupel verursacht, ist nicht weiter verwunderlich. So entschlossen wie keine Künstlergeneration zuvor brachte jene, die zu Beginn der sechziger Jahre die Kunstwelt aufmischte, das große Ja zur Modernität heraus: Ja zum Vergänglichen, zum Flüchtigen, zum Zufälligen und damit zu jenen drei Bestimmungen, mit denen Baudelaire genau hundert Jahre zuvor (1859) den Rahmen einer Theorie der ästhetischen Moderne abgesteckt hatte. Die frommen Beteuerungen der Aktualität, mit denen Festrede, Katalogtexte, Rezensionen und erst recht kunstpädagogische Hilfsmittel (wie die im Eintrittspreis enthaltene Führungskassette) gespickt sind, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit der Kölner Ausstellung die Historisierung der Pop Art auch institutionell endgültig besiegelt ist. Sich zu diesem Unternehmen zu bekennen, wäre hilfreicher als die störrische Behauptung einer Frische, die allzu offensichtlich dahin ist.
Während die Macher der Westkunst-Ausstellung vor einem Jahrzehnt noch bemüht waren, die Pop Art als ein Ferment der unübersichtlichen Szene der sechziger Jahre sichtbar zu machen, präsentiert die jetzige Kölner Ausstellung Pop Art als Stilzusammenhang. Damals hieß es: „,Pop Art‘ hat sich als Vorstellungsrahmen aufgelöst, gibt es nicht, hat es nie gegeben: nur die Bilder von einigen Künstlern.“ Heute ist das Vertrauen in die Tragkraft des Popstils so groß, daß ihm in Köln fix auch noch Fluxus und einiges andere Kontinentaleuropäische (Décollage, Objektkunst, Assemblage) subsummiert wurde. Nicht daß hier keine Übergänge zu konstruieren wären, aber das offensichtliche Bedürfnis nach Vereinheitlichung ist bezeichnend. Es spricht dafür, daß sich innerhalb des Kunstsystems ein Zusammenhang schließt, in dem durch den Popstil Kunstwerk mit Kunstwerk immer fester verbunden erscheint, während die Verbindungen dieses Zusammenhangs zur Gegenwart nach und nach gekappt werden.
Wer mit offenen Augen durch die Kölner Ausstellung geht, wird das erfahren. Etwa wenn er vor der Brillo-Box steht, die ihren aufrüherischen Anspruch, Kunst zu sein, einst als „draufgängerische Metapher“ (A.C. Danto) vorbrachte: „der Brillo-Karton-als-Kunstwerk“. Der Philosoph A.C. Danto erklärte die — natürlich immer etwas ungerechte — Enttäuschung des rückblickenden Betrachters in seiner grundlegenden Kunstphilosophie (Die Verklärung des Gewöhnlichen) so: „In dem Augenblick, da sie (die Metapher) möglich war, war so etwas wie der Brillo- Karton unvermeidlich und witzlos. Er war unvermeidlich, weil die Geste vollzogen werden mußte, ob mit diesem Objekt oder einem anderen. Er war witzlos, weil es in dem Augenblick, da man sie vollziehen konnte, keinen Grund mehr gab, sie zu vollziehen.“
Das ist zwar eine Sicht der Dinge, die Kunstwerke auf Konzepte reduziert, aber sie hat natürlich ihre Berechtigung darin, daß, nicht erst in der Pop Art, aber in ihr besonders publikumswirksam, die Kunst selber konzeptionell geworden ist. Alle verschwommenen Wunschträume, „die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzuheben“, haben dagegen nichts vermocht; sie waren selber nur ein Ausdruck dieser Trennung und haben sie befestigt.
Nicht nur die Brillo-Box, sondern auch die anderen Ikonen der Pop Art scheinen heute „unvermeidlich“ (nicht jedoch in diesem Maße „witzlos“): Roy Lichtensteins Comic-Bilder, Tom Wesselmanns „Great American Nudes“, Warhols „Marilyns“, Jasper Johns Bierdosen und Oldenburgs weiche Objekte. Daß darin auch eine Stärke liegt, zeigt der Vergleich zu manchen Werken des Neo-Pop der achtziger Jahre, die vor dem Hintergrund der Kölner Ausstellung doch sehr entbehrlich erscheinen. (Dies betrifft vor allem etwa die Objektkunst von Jeff Koons und Haim Steinbach.)
Die Ausstellungsverantwortlichen sind sich sicher, mit der Pop Art Show „einen Treffer gelandet zu haben“. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Die Eigenart aller modernen Kunst, ihr Publikum nicht einfach vorauszusetzen und zu bedienen, sondern zuallererst zu produzieren, ist durch den sagenumwobenen Erfolg der Pop Art in den sechziger Jahren erst richtig deutlich geworden. Man vergißt in einer Zeit unablässiger Ausstellungsbooms leicht, daß das einstige Ressentiment kulturkonservativer Kreise sich nicht allein an den Pop-Motiven und den Pop-Attitüden der Künstler entzündete, sondern auch an dem ungeheuren Publikumsstrom, den sie erzeugten. (Heute weiß jedes Kind aus der Werbung, daß nichts so erotisch ist wie der Erfolg.) Der Erfolg der Pop Art war in der Tat so erstaunlich, daß sich selbst ihre Propagandisten wie etwa Lucy R. Lippard wundern mußten: „Nicht die Pop Art selber, wohl aber die Art und Weise, wie sie aufgenommen wurde, ist für das Diskothek-Zeitalter typisch.“
Die Kinder des „Diskothek-Zeitalters“ werden sich wahrscheinlich wundern, wieviel Aufhebens um die Wende der Kunst zur „Trivialität“ gemacht wird, gerade so, als sei die Popkultur der Kunst für die Verklärung immer noch etwas schuldig. Für viele der Veteranen (zu denen auch die Organisatoren der Ausstellung zählen) scheint die Bedeutung der Pop Art darin zu liegen, daß sie ihnen die köstliche Zweigleisigkeit erlaubte, im Medium einer legitimen Kunst endlich die illegitimen Dinge des „Diskothek-Zeitalters“ zu genießen. Tom Wolfe hat sich über diese bigotte Haltung in gehöriger Weise lustig gemacht: „Sie waren wie der Mennonit, der, den Gesetzen seiner Religion gehorchend, keinen Fernseher im Haus haben darf und ihn deshalb draußen auf den Zaun stellt und durch ein offenes Fenster fernsieht. Mitten im Januar sitzt er bei geöffnetem Fenster, in Mantel und Decke gehüllt, im Wohnzimmer, weil Mannix draußen auf dem Zaun läuft.“
Die Zeiten, da man irgendeinen Vorwand brauchte, um sich mit der Popkultur zu beschäftigen, sind vorbei. Was einst Stoff für Manifeste hergab, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Niemand kann sich heute noch provokante Knalleffekte aus der Konfrontation von Hoch- und Tiefkultur, legitimer und illegitimer Kunst versprechen. Die Entlastung vom kulturellen Legitimationsdruck, das läßt sich absehen, führt zu einer kulturellen Situation, die gerne präventiv als „Beliebigkeit“ (Postmoderne!) denunziert wird (obwohl sich noch niemand die Mühe gemacht hat zu erklären, worin die Schrecken der Beliebigkeit denn eigentlich liegen). Man hat gelernt, wie Lawrence Alloway als Cheftheoretiker der britischen Pop Art forderte, „mit der Kultur zu leben, mit der man aufgewachsen ist, und sie nicht im Namen einer snobistisch verstandenen ,Reife‘ abzulehnen“.
Die Pop Art haben die im „Disko- Zeitalter“ Geborenen meist schon in der Schule kennengelernt. Unter der Anleitung eines progressiven (so hieß es doch wohl) Kunstlehrers betätigte man sich etwa an der Warholschen Campbell-Suppendose so lange mit jenen interpretatorischen Folterinstrumenten, die den Unterricht der siebziger Jahre prägten, bis dieses arme Ding endlich sein „subversives Potential“ freigab. Ein neues Werk zur Pop Art (Tilman Osterwald, Pop Art, Köln 1989) erlaubt es mir, eine Ahnung von dem typischen Sound solcher Interpretationen zu geben: „Die komplexe Inszenierung eines Markenartikels betreibt Andy Warhol mit der Campbell-Suppendose. Sie steht für die Nivellierung kalkulierbarer Geschmacksgewohnheiten außerhalb jeglicher kreativer Faktoren, die eine Küche möglich machen und entfalten könnte.“
Eine zeitgenössische Museumspädagogik hätte den Kampf gegen solchen Hirnkleister aufzunehmen, deshalb zum Schluß ein Tip: Wie wäre es, wenn man folgendes Gedicht von Max Goldt an der Wand neben dem Suppendosenbild anbrächte:
Ein Eimer Erbsen mittelfein
steht mahnend auf der Autobahn.
„Woran gemahnt er, wovor warnt
er?“
Vor dem Atomtod!
„Ach so!“
Ein Stapel alter Kinderschuh
liegt mahnend auf dem Flugplatz.
„Woran gemahnt er, wovor warnt
er?“
Vor dem Atomtod!
„Ach so, ja freilich!“
Die Pop Art-Show , Museum Ludwig Köln, bis 21. April. Katalog bei Prestel, 48 DM
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