: Zum Wohl der Familie
■ Mit der Verlängerung der Zahlung des staatlichen Erziehungsgeldes auf drei Jahre wird die Ausgrenzung der Frauen vom Arbeitsmarkt unterstützt. Ein kritische Analyse
Mit der Verlängerung der Zahlung des staatlichen Erziehungsgeldes auf drei Jahre wird die Ausgrenzung der Frauen vom Arbeitsmarkt unterstützt. Eine kritische Analyse VON BARBARA RIEDMÜLLER
K
inder sind in unserer Gesellschaft eine individuelle Angelegenheit, persönliche Präferenz. Darüber hinaus kommen sie die Eltern teuer zu stehen: Sie sind eine erhebliche materielle und immaterielle Belastung in unserer materiell orientierten Zeit. Die staatliche Verbesserung der Einkommenssituation der Eltern durch Erziehungsgeld (derzeit 600Mark) ist ein winziger Fortschritt im Sinne einer kindbezogenen Sozialpolitik, wie sie in der Bundesrepublik seit langem gefordert wird. Verglichen mit dem westlichen europäischen Ausland ist die Bundesrepublik auf diesem Gebiet eher rückständig.
Ab dem Jahr 1992 gelten nun neue Regelungen über den Bezug des Erziehungsgeldes. „Der Erziehungsurlaub [was heißt hier „urlaub“? — die k.in] wird für Kinder, die nach dem 31.Dezember 1991 geboren werden, auf drei Jahre ausgeweitet. Der Bezug von Erziehungsgeld wird für die Kinder, die nach dem 31.Dezember 1992 geboren werden, um sechs Monate auf 24 Monate verlängert“ (Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Drucksache 12/1495 7.11. 1991). In der Begründung heißt es, das Gesetz verfolge das Ziel, die Leistungen für Eltern in der ersten Lebensphase ihrer Kinder weiter auszubauen. Gegen dieses Ziel ist an sich nichts einzuwenden. Tatsächlich ist weder Freude noch Applaus über diese Gesetzesänderung angebracht. Fragt man nämlich, auf welche soziale Wirklichkeit dieses Gesetz trifft, wer in welcher Lebenslage das Erziehungsgeld in Anspruch nimmt, welche Auswirkung es auf die Arbeitsteilung innerhalb der Familie hat, welche Folgen es für die Berufschancen von Frauen hat, und zuletzt, auf welche politische Situation diese Regelung in der Bundesrepublik nach der deutschen Einheit trifft, müßte jeder Fortschrittsglaube in tiefe Skepsis umschlagen.
Das Erziehungsgeld stößt auf eine soziale Wirklichkeit, in der Frauen nach wie vor für die Erziehungsarbeit zuständig sind. (Es überrascht keineswegs, daß das Erziehungsgeld in der alten Regelung nur von 1,4Prozent der Männer in Anspruch genommen wurde.) Es sind diese Frauen, die infolge ihrer Zuständigkeit für Familie und Kinder am Arbeitsmarkt und im Beruf benachteiligt sind. Die gerade deswegen in beinahe allen gesellschaftlichen Feldern des Einkommens, des Wohnens, der Freizeit, der Politik und anderen zurückstehen müssen. Nach einer Untersuchung über die Lebenslage von alleinstehenden Frauen in der Bundesrepublik (Riedmüller u.a., Bonn 1991) zeigt sich deutlich, daß Kinder zu haben immer ein hohes Armutsrisiko von Frauen begründet. Sie stellen die große Gruppe der Sozialhilfeabhängigen und Altersarmen dar.
Nur jüngere qualifizierte Frauen haben heute eine günstigere Prognose, sofern ihre Arbeitsmarktchancen, die vorwiegend im öffentlichen Sektor bestehen, stabil bleiben. Einkommen, Wohnen und anderes stellen nur einen Defizitbereich von alleinerziehenden Frauen, vor allem nach einer Scheidung, dar. Der andere betrifft das Selbst- und Fremdbild alleinstehender Frauen mit Kindern und Probleme der sozialen Isolation. Sie werden von allen Hilfsmaßnahmen vernachlässigt.
Kein Ersatz für Lohnzahlungen
Konfrontiert man das veränderte Gesetz zum Erziehungsgeld mit dieser Lebenslage von Frauen in der Bundesrepublik, so scheint es, als ob der Gesetzgeber diese Frauenrealitäten nicht kennt und nicht kennen will. Nicht nur die defizitären Arbeitsmarktchancen, sondern auch die veränderte Familienstruktur, auch die Neuregelung unterstellt eine intakte Familie mit Vater, Mutter, Kind, einer auf der Zeitachse stabilen Familiengemeinschaft und deren ökonomischer Sicherung. Nun könnte man die Position einnehmen, daß die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in der Familie und die Entscheidung, wer von beiden das Erziehungsgeld in Anspruch nimmt, eine persönliche Angelegenheit sei, in die sich der Staat nicht einzumischen habe. Zudem seien kulturelle Orientierungen und deren historische Variationen generell nicht administrativ steuerbar. Allerdings sollten der Staat und die Politik auch nicht Jahrzehnte hinter den sozialen und kulturellen Orientierungen der Menschen hinterherhinken. Zwar konnten sich Mann und Frau schon im alten Gesetz entscheiden, wer das Erziehungsgeld in Anspruch nimmt. Nun soll auch der nicht sorgeberechtigte Elternteil anspruchberechtigt sein, wenn der Sorgeberechtigte zustimmt. Ein Anreiz für Väter ist, wie im Gesetzesentwurf behauptet, allerdings nicht geschaffen worden, denn das Erziehungsgeld stellt nach wie vor keine echte Lohnersatzleistung dar. Dies müßte aber der Fall sein, wenn die Männer, die mehr als die Frauen verdienen, auf ihren Erwerbsstatus vorübergehend verzichten sollen. Unter diesem Aspekt ist es illusorisch, zu glauben, daß ein dreimaliger Wechsel bei der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs zwischen Vätern und Müttern ein echter Anreiz für Väter wäre.
Schleichender Arbeitsausstieg
Natürlich ist der Kernpunkt dieses Gesetzes die Beziehung zum Arbeitsmarkt, dies vor allem für die alleinerziehenden Frauen. Für alle Frauen gilt gleichermaßen, daß Kindererziehung ein Hindernis auf dem Arbeitsmarkt darstellt. Faktisch, indem Arbeitszeiten determiniert sind, ideell, indem den Müttern alle möglichen beruflichen Beschränkungen angedichtet werden. Eine echte Arbeitsplatzsicherheit existiert nicht, der Kündigungsschutz besteht auch in der Neuregelung nur vorübergehend. Daß die Arbeitnehmer, die sich im Erziehungsurlaub befinden, in Zukunft bei bedarfsbegründeten Entlassungen nicht mitgezählt werden dürfen, wird an dieser Unsicherheit nicht viel ändern. Eine Garantie des Wiedereinstiegs in den Beruf ist damit keineswegs gegeben.
Die Tatsache, daß weniger als 50Prozent aller Frauen nach Ablauf des Erziehungsurlaubs ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, könnte über eine bloße Arbeitsplatzunsicherheit hinaus als intendierter Verdrängungseffekt des Gesetzes interpretiert werden. Eine solche Intention muß allerdings nicht unterstellt werden, um die Folgen des Gesetzes zu bewerten. Denn die diskriminierenden Mechanismen, die für den Frauenarbeitsmarkt typisch sind, wirken auch ohne diese Absicht.
Subjektiver Anreiz zur Mütterlichkeit
Besonders deutlich werden die Folgen dieses familienpolitischen Hilfsprogramms auf dem Hintergrund des mit dem Prozeß der deutschen Einheit stattfindenden Verdrängungsprozesses von Frauen vom Arbeitsmarkt. Weil jetzt auch in den ostdeutschen Ländern der Markt die Nachfrage nach Arbeitskräften steuert, müssen vor allem Frauen mit Kindern gegen ihre Ausgrenzung kämpfen. Die arbeitsmarktpolitische Konstellation, auf die dieses Gesetz vor allem in Ostdeutschland trifft, könnte also einen subjektiven Anreiz zum Ausstieg aus dem Erwerbsleben darstellen, vor allem dann, wenn diese Frauen weniger qualifiziert sind und in ländlichen Regionen leben. Einer solchen indirekten Verdrängung der Frauen mittels ideologischer und materieller familienpolitischer Maßnahmen steht allerdings die ungebrochene Erwerbsorientierung der Frauen in der ehemaligen DDR gegenüber, wie neuere Untersuchungen bestätigen.
Das beste Beispiel für eine solche indirekte Wirkung der Sozialpolitik ist die Einführung der Witwenrente in den ostdeutschen Ländern und die damit verbundene Favorisierung der vom Einkommen des Mannes abgeleiteten Rente. Die Chance für eine eigenständige Rente der Frau ist im Einigungsvertrag vertan worden. Diese Ambivalenz von Hilfe für die Familie und deren negativen Folgen für die Frau wäre nur durch eine familien- und kindbezogene Sozialpolitik in Verbindung mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die eben die Erziehungsarbeit nicht in den randständigen Bereich der Familienpolitik und deren administrativen Schwächen, wie sie für die Bundesrepublik typisch sind, abdrängt. Zu einer guten Familienpolitik gehörten deshalb vor allem die Schaffung guter Kindereinrichtungen, nicht nur in den ersten Jahren, sondern auch während der arbeitnehmerunfreundlichen Schulzeiten. Ideell gedacht sind vorübergehende Freistellung von Beruf und Erziehungsgeld kein Gegensatz zur Kinderbetreuung. In der Realität stehen allerdings Erziehungsgeld und die Kosten für Kinderbetreuung in Konkurrenz. Ihre Gesamtsumme ist wesentlich höher als das, was Parteien beziehungsweise Regierungen für erziehungspolitische Leistungen aufbringen. Durch Förderung der außerfamiliären Erziehung würden außerdem mehr Frauenarbeitsplätze geschaffen werden.
Eine Wende in der Familienpolitik war allerdings von der Bundesrepublik in dieser Frage auch nicht zu erwarten. Es ist der deutsche Sonderweg der Sozialpolitik, der sich immer wieder in der Trennung von Familienpolitik und Sozialversicherung wiederholt — eine Trennung, die immer zu Lasten der Frauen ging. Weil die Frauen keine kontinuierlichen Erwerbs- und Versicherungsbiografien haben, fallen sie in der und durch die Familienphase in das Loch fürsorgerischer staatlicher Hilfsprogramme, die keinen Übergang in den Arbeitsmarkt programmieren. Die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit ist im deutschen Sozialversicherungssystem offenbar auf Dauer angelegt. Absicht der Politik?
Barbara Riedmüller, ehemals Senatorin für Wissenschaft und Forschung im Berliner Senat, ist Professorin für Politikwissenschaft am Berliner Otto-Suhr- Institut. Sie ist Mitglied des Abgeordnetenhauses in der SPD-Fraktion.
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